Süddeutsche Zeitung

Pünktlichkeitsstatistik der Bahn:Jeder fünfte Fernzug verspätet

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Die Deutsche Bahn startet eine Transparenz-Offensive. Ab sofort veröffentlicht sie jeden Monat im Internet eine Pünktlichkeitsstatistik. Die erste Ausgabe fällt durchwachsen aus: Im ersten Halbjahr 2011 war jeder fünfte Fernzug verspätet. Einem internen Bericht zufolge ist die Bahn damit noch unzuverlässiger als in den vergangenen Jahren.

Als der neue Vorstandsvorsitzende Johannes Ludewig Ende der neunziger Jahre seinen Job antrat, verkündete er den Mitarbeitern: "Pünktlich wie die Eisenbahn" müsse wieder zum Markenzeichen der Bahn werden, denn Pünktlichkeit sei ein entscheidender Wettbewerbsvorteil. Als Ansporn und Menetekel zugleich wurden auf allen großen Bahnhöfen sogenannte Pünktlichkeitsanzeiger montiert, die meldeten, wie zuverlässig die Bahn am Vortag im Fern- und Nahverkehr den Fahrplan eingehalten hatte. Die Statistik wurde sogar nach Bahnhöfen aufgeschlüsselt und der Tageswert der jeweiligen Haltestelle mit dem Durchschnitt des Vorjahres verglichen.

Scheinbar waren die Ergebnisse derart katastrophal, dass Hartmut Mehdorn, der den glücklosen Ludewig nach nur zwei Jahren als Vorstandsvorsitzender ablöste, die Pünktlichkeitsanzeiger sofort wieder abbauen ließ - sie hätten angeblich ihren Zweck nicht erfüllt. Böse Zungen meinten, wohl eher habe sich das Unternehmen nicht an seine Selbstverpflichtung gehalten. Seither waren die Pünktlichkeitswerte der Bahn ähnlich geheimnisumwittert wie der nordkoreanische Jahresbericht zur Ernährungslage der einheimischen Bevölkerung: Einmal im Jahr wurde in dürren Worten ein Durchnittswert für das Vorjahr veröffentlicht, der sich auf das gesamte Bahnaufkommen bezog und den unpünktlicheren Fernverkehr mit dem zuverlässigeren Nahverkehr der Einfachheit halber in einen Topf warf. Damit soll nun Schluss sein.

Noch unzuverlässiger als in den letzten beiden Jahren

Ab heute veröffentlicht die Bahn auf ihrer Internetseite eine Pünktlichkeitsstatistik, die zum einen monatlich erscheinen soll und zum anderen Fern- und Nahverkehr getrennt voneinander aufschlüsselt. "Das ist ein großer Schritt für uns", erklärte der aktuelle Bahnchef Rüdiger Grube bei der Vorstellung des Konzepts. "Wir wollen bei Kundenfreundlichkeit und Sympathie deutlich zulegen."

Aus der nun veröffentlichten Statistik für die Monate Januar bis August geht hervor, dass jeder fünfte Fernzug der Deutschen Bahn in diesem Jahr unpünktlich gewesen ist. Die Quote pünktlicher Fernzüge lag demnach bei nur 80,4 Prozent, bei Regional- und Fernzügen zusammen allerdings bei 93,2 Prozent. Als verspätet gilt ein Zug dann, wenn er mit mehr als fünf Minuten und 59 Sekunden Verzug ein- oder abfährt.

Die Pünktlichkeitswerte im August seien aber "wesentlich" durch schwere Unwetter im Westen und in der Mitte Deutschlands am 24. August beeinflusst worden, erklärte die Bahn. Zahlreiche entwurzelte Bäume hätten vielerorts Oberleitungen beschädigt und Streckensperrungen notwendig gemacht. "Die Zahlen in diesem Jahr zeigen, dass wir deutlich pünktlicher unterwegs sind, als uns von Kritikern oft vorgeworfen wird", sagte Ulrich Homburg, für Personenverkehr zuständiger Bahn-Vorstand.

Ursprünglich war die Veröffentlichung bereits für den 1. September angekündigt, nun traut sich die Bahn erst drei Wochen später an den Start und muss gleich schlechte Nachrichten überbringen. Wie der Berliner Tagesspiegel unter Berufung auf eine interne Bahn-Statistik bereits vorab berichtete, fuhren die Züge 2011 in 16 von 34 ausgewerteten Wochen noch unzuverlässiger als 2009 und 2010. In dem internen, für den Aufsichtsrat bestimmten Papier heißt es aber, dass man den Fahrplan insgesamt besser einhalte als 2010.

Zwar hätten die Werte zwischen Ende Februar und Anfang Juni unter denen von 2010 gelegen. Die Pünktlichkeit habe sich aber "in den letzten Wochen stabilisiert und liegt meist leicht über dem Niveau des Vorjahres". Insgesamt seien laut der Bahn-Bilanz im Regional- und Fernverkehr 92,7 Prozent der Verbindungen pünktlich gewesen. Ein Bahnsprecher wollte den Bericht nicht kommentieren.

In den vergangenen Jahren hatte die Bahn zeitweise große Probleme, den Fahrplan einzuhalten. In den schneereichen Wintern fielen Weichen und Züge aus, in den heißen Sommermonaten versagten mehrfach Klimaanlagen in ICE- und IC-Zügen.

Kundenvertreter begrüßten den Plan, die Pünktlichkeitswerte transparent zu machen. "Mir ist eine Schlechtleistung, die man offenlegt, lieber als eine Schlechtleistung, die verheimlicht wird", sagte der Vorsitzende des Fahrgastverbandes Pro Bahn, Karl-Peter Naumann.

Fahrgäste, die weiter auf zugigen Bahnsteigen oder in überhitzten Zügen warten, dürften die Statistikzahlen nur wenig trösten - zumal sie für den mangelhaften Service der Bahn künftig wieder mehr bezahlen müssen. Mitte Dezember könnten die Fahrpreise angehoben werden. "Einen Verzicht auf Preiserhöhungen kann man sich nicht jedes Jahr leisten", sagte Bahnchef Rüdiger Grube der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Über konkrete Preisschritte wolle der Vorstand aber erst im Oktober entscheiden.

Beim Fahrplanwechsel im Dezember vergangenen Jahres hatte der bundeseigene Konzern seine Preise im Fernverkehr erstmals seit 2002 stabil gelassen. Im Nahverkehr waren Tickets im Schnitt um 1,9 Prozent teurer geworden. "Unsere Kosten sind stark gestiegen, zum Beispiel für Personal und Energie", sagte Grube in der FAZ. Hintergrund sei unter anderem die beschlossene Abschaltung von Atomkraftwerken. "Allein die Energiewende verteuert unsere Energierechnung von rund 2,5 Milliarden Euro in diesem Jahr um 100 Millionen Euro", begründete Grube die zu erwartende Preiserhöhung.

Pünktlichere Beförderung können die Fahrgäste für ihr Geld aber wohl nicht erwarten: Wegen fehlender neuer Züge kündigte die Bahn schon mal vorsorglich für die kalte Jahreszeit Verspätungen an. Wenn es dann am Ende wieder völlig überraschend Winter wird im Land, der Weichenheizungen und Signalanlagen einfrieren lässt, dürfte sich wenigstens der von der Bahn bei Twitter neugeschaffene Dialog-Kanal über reges Kundenaufkommen freuen.

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