Süddeutsche Zeitung

Nostalgische Familienfotos aus den Alpen:Das kennen wir doch

Lesezeit: 3 min

Michael Martinek hat alte Urlaubsfotos gesammelt und im Bildband "Vintage Alpen" veröffentlicht. Ein Gespräch über die Schuhschachtel der Vorfahren, wie wir heute auf Reisen fotografieren - und weshalb uns alte Urlaubsfotos glücklich machen.

Von Carolin Gasteiger

Für den Bildband "Vintage Vienna" hatten Michael Martinek und Daniela Horvath Privatpersonen um ihre Urlaubs-Schnappschüsse aus der österreichischen Hauptstadt gebeten. Nun haben die beiden mit "Vintage Alpen" ihren nächsten Bildband veröffentlicht. Doch der Strom privater Urlaubsbilder reißt nicht ab - die Zusendungen veröffentlichen die beiden Wiener auf Facebook und in ihrem Tumblr.

SZ.de: Warum machen uns alte Urlaubsbilder glücklich - selbst wenn es gar nicht unsere eigenen sind?

Michael Martinek: Wenn wir diese Familienfotos anschauen, sehnen wir uns in ein Idyll von früher zurück, als vermeintlich alles besser war. In unserer hektischen Zeit sind die Bilder eine Art Zufluchtsort, an dem nichts mehr schiefgehen kann.

Sehen die Urlaubsbilder aus Ihrer Kindheit auch so aus?

Ein paar schon. Tatsächlich sind die "Vintage"-Bilder eine Blaupause: Viele erinnern sich an diese Urlaubssituationen zurück, als man mit der ganzen Familie ins Auto gestiegen und in die Berge gefahren ist. Oder sich für ein Foto aufgestellt hat. Egal ob das ist den 50ern, 60ern oder 70ern war.

Und egal, wie unperfekt die Bilder sind.

Genau das macht den Charme aus - da dürfen Fotos sogar verwackelt und unscharf sein. In dieser Form waren sie ja nie für die Öffentlichkeit bestimmt. Trotzdem dokumentieren sie unser aller Vergangenheit. Wir wollten ja nicht das perfekte Foto finden, sondern die Schuhschachtel unserer Vorfahren öffnen. In dieser Hinsicht möchten wir auch gar nicht mit den "schönen" Bildbänden konkurrieren.

Im Vergleich zu diesen fehlt Ihrem Bildband auch jegliches Konzept.

Es ist schwierig, Schwarz-Weiß-Fotos von Alpenüberquerungen mit dem Auto aus den 20ern mit Wanderungen aus den 60ern oder 70ern zu verknüpfen. Die Zusendungen waren ja wirklich wahllos. Wir wollten das Konzept deshalb bewusst offen lassen, auch wenn das völlig untypisch für ein Buchprojekt ist.

Schon bei Ihrem ersten Projekt "Vintage Vienna" haben Sie Ihr Faible für Zeitreisen ausgelebt. Wie kamen Sie von der Stadt in die Berge?

Als Wiener war ich selten in den Bergen, habe mich später aber immer danach gesehnt. Also habe ich jahrelang nach einem Bild von einem Almidyll für meine Wohnung gesucht. Pastellfarben, vielleicht mit einer Kuh ... Von der Stadt aus hat man ja einen recht verklärten Blick auf die Alpen. Als ich einen Aufruf dazu ins Netz stellte, hatte ich keine Ahnung, wie groß die Resonanz sein würde.

Wo wurden die meisten Urlaubsbilder aufgenommen?

Vom Großglockner oder aus Tirol haben wir irrsinnig viele Fotos bekommen - in allen Variationen.

Gibt es die Orte in den Bergen so noch?

Die haben sich teilweise natürlich massiv verändert. Manchmal wissen die Besitzer der Bilder auch gar nicht mehr, wo ihr Großvater das Foto aufgenommen hat. Da hilft das Schwarmwissen auf Facebook oder in unserem Tumblr: Manchen Berg- und Alpinspezialisten reicht ein Bergzipfel und sie können genau sagen, wo und wann das war.

Immerhin war Ihnen die Familie auf dem Cover schon bekannt.

Einige, die schon für "Vintage Vienna" in ihren Familienfotos gekramt hatten, haben auch für "Vintage Alpen" wieder zu suchen angefangen. Unter ihnen Hans Einar Johannessen, einer der Buben auf dem Cover beider Bildbände. Seine Familie hat früher sowohl in Wien als auch in den Alpen Urlaub gemacht - und sein Vater Idar hatte eine besondere Art zu fotografieren. Nun hat sich Johannson auch für "Vintage Alpen" wieder bei uns gemeldet. Er ist inzwischen 60 Jahre alt, Lehrer in einem kleinen norwegischen Ort und fast schon ein persönlicher Freund.

Worin liegt der Unterschied zu heutigen Urlaubsbildern?

Wir hinterlassen unseren Kindern ja keine Berge entwickelter Fotos mehr, sondern haben sie auf unserem Computer abgespeichert. Aber dort werden sie kaum noch angeschaut. Auch hat man früher die Motive auf einem Film bewusst aufgenommen, dann die Bilder entwickelt und Abzüge den Verwandten geschenkt. Jetzt ist das Fotografieren im Urlaub wahllos geworden.

Klingt düster.

Durch diese Wahllosigkeit verändert sich auch die Art und Weise, wie wir in Zukunft die Vergangenheit sehen. Meiner Meinung nach werden wir in zehn Jahren auf dem Flohmarkt immer noch zu den Urlaubsbildern aus den 50ern greifen und nicht zu jüngeren. Einfach, weil man den Bildern anmerkt, dass sie bewusster gemacht wurden.

Haben Sie das Almidyll für Ihre Wohnung inzwischen gefunden?

Nein, leider nicht - obwohl das eigentlich der Auslöser für das Projekt war. Aber das ist oft der Haken, wenn man schon ein festes Bild im Kopf hat.

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