Süddeutsche Zeitung

"Geschäftsreise" für einen Tag:Zum Arbeiten ins Hotel

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Wer es daheim nicht mehr aushält, wechselt vom Home-Office ins Hotelzimmer. So haben die Betriebe wenigstens ein paar Gäste - und die werden umsorgt wie nie zuvor.

Von Monika Maier-Albang

Zum Essen geht's nach links, besagt der Zettel an der Scheibe. Wer sich aber kein "Schnitzel to go" holen, sondern tatsächlich das Hotel betreten möchte, dem öffnet sich die Glastür zum Prinzregent im Münchner Stadtteil Riem automatisch. Das ist keine Selbstverständlichkeit in diesen Tagen. Beim Hotel 25hours in der Innenstadt muss man jetzt klingeln, zu menschenleer noch ist die Bahnhofsgegend. Und auch wenn die Polizei darauf achtet, dass das Alkoholverbot hier eingehalten wird: So eine offene Tür kann leicht als Einladung missverstanden werden für Leute, die man in einem ebenfalls fast leeren Hotel nicht haben möchte.

Touristische Übernachtungen sind ja nach wie vor verboten, Geschäftsaufenthalte im Hotel aber erlaubt. Da muss man kreativ sein. Seit ein paar Tagen ist sowohl das Prinzregent als auch das 25hours deshalb gelistet auf Websites, über die sich Menschen, die einen ruhigen Platz zum Arbeiten suchen, ein Zimmer im Hotel buchen können.

" Homeoffice im Hotel" heißt eine, sie verweist auf 561 Hotels, die meisten in Deutschland, ein paar in Österreich und der Schweiz und hat mittlerweile nach eigenen Angaben 20 000 Zugriffe täglich. Eine zweite, Seatti.co, ist ein Start-up des jungen Unternehmers Christopher Bieri. Auf der kuratierten Seite sind rund 100 Hotels gelistet, ebenfalls überwiegend aus Deutschland, wobei Bieri sich auf "coole Innenstadthotels" konzentriert. Noch übersteige das Angebot die Nachfrage, sagt Bieri. Aber immerhin: Eine Buchung pro Tag komme im Schnitt auf diese Weise rein, sagt Alexandra Radwan, die Direktorin des Hotels Prinzregent. "Deine Familie braucht eine Pause von dir", haben sie ihr Angebot dort etwas frotzelig beworben.

30 Euro verlangt sie für ein Zimmer, das normalerweise 130 aufwärts kosten würde. Mit Blick ins Grüne und auf die alte Pfarrkirche. Damit wird man nicht reich, aber man hält sich und das Personal bei Laune. "Die, die jetzt hier sein dürfen, schätzen sich glücklich", sagt Radwan, die Leute mögen ihre Arbeit, und so von hundert auf null, das sei "emotional schon schwierig" gewesen. An der Rezeption arbeiten jetzt Azubis, die Reinigungskräfte sind dank der Home-Office-Offensive auch beschäftigt. Der Schreibtisch, die Klinken, das Waschbecken, die Wasserhähne - alle Oberflächen, die normalerweise nur geputzt würden, werden jetzt desinfiziert. Die Bettwäsche müsse man wechseln, selbstverständlich, auch wenn der Home-Office-Gast nur untertags ein paar Stunden im Zimmer war.

So weich gebettet wie momentan, das kann man wohl generalisieren, waren Gäste in deutschen Hotels selten. Wer die Zimmer zum Arbeiten nutzt, muss zwar über die tendenziell zu kleinen Schreibtische hinwegsehen, die für eine Situation wie diese ja auch nicht gedacht sind. Ansonsten aber wird man sich über mangelnde Aufmerksamkeit kaum beschweren dürfen. Das Home-Office-Angebot im 25hours-Hotel beispielsweise gilt von zehn bis 18 Uhr, eigentlich.

"Wenn jemand früher kommen möchte, kein Problem", sagt Katherina Klimke, die General Managerin. Seinen Hund mitbringen, gerne, das Bett benutzen, natürlich, Kaffee aufs Zimmer, sofort, ein paar Seiten ausdrucken, jederzeit, man sei da "gastorientiert". Wer sich mittags ein bisschen bewegen möchte: Es stehen exquisite Fahrräder ohne Aufpreis bereit. Die Zimmer auf der vierten Etage, der einzigen, die geöffnet ist, kann man sich gerne vorher anschauen. Momentan ist sogar mal die beliebte Schwanen-Suite frei.

Die Gäste? Ein Coach, der von hier aus ein Webseminar durchgeführt hat, eine Geschäftsfrau mit drei kleinen Kindern, eine Führungskraft von der Universität, die anfragte, ob man im Hotel Bewerbungsgespräche führen dürfe - natürlich darf man. In der Pfauen-Suite ist genug Platz für eine Besprechungsrunde auf Distanz. Alternativ könnte man auch in die Lounge, zu den Hirschköpfen aus Filz - dann wird die Musik eben runtergedimmt. Ist ja sonst kaum jemand da, nur die Rezeptionistin, der Hausmeister, ein Koch - falls ein Gast Lust hat auf ein mediterranes Mittagessen.

Auch im Prinzregent gibt es Upgrades, den Fernseher als Zweitbildschirm und, so gewünscht, das Schnitzel aufs Zimmer. Der IT-Berater Claas Wunderlich hat es ausprobiert: "Ist nett, so was", sagt er. Die Wunderlichs haben ein fünfjähriges Kind. In der Regel sei das Arbeiten daheim unproblematisch. Die "kleine Flucht" für einen Tag, an dem ein wichtiges Telefonat anstand, hat er sich trotzdem gegönnt, ebenso wie seine Frau, an einem anderen Tag.

Natürlich ist all das für die Hotels keine Lösung, nur eine Hilfe beim Überbrücken einer schwierigen Zeit. Und es profitieren vor allem Betriebe in Großstädten von der Idee, wo den Heimarbeitern kein Garten, kein großes Haus zur Verfügung steht. Wie viele im Hotelgewerbe habe auch sie auf Lockerungen Ende April gehofft, sagt Katherina Klimke. Jetzt gehen sie im 25hours mal davon aus, dass man Ende Mai den Betrieb wieder hochfahren kann. Und sie hoffen, dass zumindest der Sommer ein guter wird, wenn die Deutschen wiederkommen dürfen. Dass sie dann auch kommen wollen, steht für Klimke außer Frage: Der "Reisedrang" werde groß sein. Und wohin wird es die Leute dann ziehen? Na dorthin, wo man eh gern ist: an die Ostsee, nach Berlin oder Hamburg, und, klar: "nach Bayern"!

Nur das Geschäft mit der Wiesn, wo man locker mal 400 Euro für ein Zimmer verlangen kann, geht den Münchner Hotels in diesem Jahr verloren. Dabei hatten die Gäste die Hoffnung lange nicht aufgegeben. Für den Sommer sei noch nichts storniert, hieß es noch zwei Tage vor der Absage im Hotel Krone, das direkt an der Theresienwiese liegt - so ein hart erkämpftes Wiesn-Zimmer gibt man nicht leichtfertig auf.

Wann die "Zeit danach" beginnt, ist jetzt noch nicht abzusehen. Der Hotel- und Gaststättenverband hofft: so schnell wie möglich. 70 000 Hotel- und Gastronomiebetriebe seien andernfalls von der Pleite bedroht, warnt die Geschäftsführerin des Verbandes, Ingrid Hartges. Den bundesweit rund 223 000 Betrieben gingen bis Ende April rund zehn Milliarden Euro verloren, rechnen die Branchenvertreter vor. Wie aber könnte eine behutsame Lockerung aussehen?

Im Prinzregent haben sie sich darüber längst Gedanken gemacht. Alexandra Radwan sagt: "Wenn wir wieder aufmachen, wird eh alles anders sein." Wie viele der Geschäftskunden überhaupt wiederkommen werden, sei unkalkulierbar. Gut möglich, dass Unternehmen Einsparpotenzial erkannt haben, ihre Mitarbeiter lieber zur Videokonferenz laden, als sie zu einem Meeting fahren zu lassen. Radwan überlegt, ob sie im Hotel künftig Mundschutz tragen werden. Momentan sehen sie davon noch ab, weil man sich bei zwei Gästen im Haus gut aus dem Weg gehen kann. Aber sie hat ihre Mitarbeiter schon darauf eingestimmt. Den Gästen würde man so "ein Sicherheitsgefühl geben", vermutet Radwan. Im 25hours überlegen sie gerade, wie sie die Mitarbeiter in zwei Teams aufteilen können, um für den Fall der Fälle arbeitsfähig zu bleiben. Und sie gehen in Gedanken durch, wie sich die Tische luftiger aufstellen lassen - im Frühstücksraum wie in den Restaurants. Dort haben sie erst mal den Boden erneuert, bei laufendem Betrieb wäre das unmöglich gewesen. So ist die Zeit zumindest nicht ganz verloren.

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SZ vom 23.04.2020
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