Süddeutsche Zeitung

Gepäck-Chaos am Flughafen Tegel:Noch 450 Koffer in Berlin

Lesezeit: 2 min

Von Verena Mayer

Einen Koffer in Berlin zu haben - das gehört seit dem berühmten Lied von Hildegard Knef eigentlich zum Besten, was einem passieren kann. Nun ist für Hunderte Flugreisende diese alte Sehnsucht in Erfüllung gegangen. Sie alle haben einen Koffer in Berlin, besser gesagt: auf dem Flughafen Tegel. Dort blieben die Gepäckstücke vor drei Wochen hängen und sind bis heute nicht bei ihren Besitzern zurück.

Der Grund war das Sturmtief Niklas Ende März. Der Orkan zog so heftig über die Hauptstadt, dass in Tegel die Ladeluken der Flugzeuge nicht geöffnet werden konnten. Zehn Stunden lang war es nicht möglich, Koffer einzuladen oder auszuhändigen, insgesamt liefen 6000 Gepäckstücke auf. Am vergangenen Wochenende waren davon noch immer 450 übrig. Die Fluggäste dürften die Sache also kaum mehr so entspannt sehen wie einst die Knef in ihrem Lied: "Ich hab' noch einen Koffer in Berlin. Der bleibt auch dort, und das hat seinen Sinn."

Berlin, Stadt der Flughäfen. Der neue wird und wird nicht fertig, der alte platzt aus allen Nähten. Tegel hat seine Kapazitätsgrenzen seit Langem erreicht, in internen Papieren wurde schon 2013 befürchtet, das System könne zusammenbrechen, sobald auch nur ein einziger Bereich ausfalle. Seither sind die Passagierzahlen immer weiter angestiegen, die Gepäckabfertigung kommt auch ohne Sturm ständig an ihre Grenzen.

Es gibt zu wenige Förderbänder, und die vorhandenen sind veraltet und liegen so eng aneinander, dass die Stimmung beim Kofferabholen jedes Mal gereizt ist wie im Billigflieger, wenn der Tomatensaft alle ist. Dazu kommt, dass es in Tegel auch hinter den Kulissen keine moderne Gepäckförderanlage gibt. "Wir arbeiten rein manuell", heißt es seitens der Firma Globeground Berlin, die auf dem Berliner Flughafen für das Gepäck zuständig ist.

Und so ließ das Chaos nicht auf sich warten. Tausende mussten am Orkan-Abend am Schalter anstehen, um ihr verlorenes Gepäck zu melden. Auch das war nur manuell möglich, über Meldezettel, die dann nachträglich ins Computersystem eingegeben werden mussten. Bis es so weit war, waren viele Reisende schon gar nicht mehr unter der Adresse zu erreichen, die sie auf den Formularen angegeben hatten. Einige Zettel waren zudem unvollständig ausgefüllt, was ebenfalls zu Verzögerungen führte.

Vor einer Woche habe man gedacht, die Lage normalisiere sich, sagt eine Sprecherin von Globeground. Doch auch am Montagnachmittag gab es noch immer 100 heimatlose Koffer. Orkan Niklas sei aber auch eine "Extremsituation" gewesen, normalerweise habe man es am Tag mit 200 verlorenen Koffern zu tun. Die Gewerkschaft Verdi glaubt indes, die Probleme seien "hausgemacht", Lohndumping und Stellenabbau auf dem Flughafen seien für das Chaos verantwortlich.

Und die Besitzer der Koffer? Kommen aus aller Welt, viele von ihnen haben ihren Osterurlaub in der Hauptstadt verbracht. Bis sie ihre Sachen wiederhaben, können sie sich mit Hildegard Knef trösten: "Ich hab' noch einen Koffer in Berlin. Auf diese Weise lohnt sich die Reise, denn wenn ich Sehnsucht hab', dann fahr ich wieder hin."

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Quelle:
SZ vom 21.04.2015
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