Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Hin und Weg:Der Trend zum Drittrad

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Bloß nicht mit dem falschen Fahrrad das Instagram-Foto versauen: Warum das Bike inzwischen viel mehr ist, als nur ein Fortbewegungsmittel.

Glosse von Joachim Becker

Wer in Alpennähe wohnt, bekommt vor allem eines zu Gesicht: die neueste Mode. Wie viele schöne Menschen an sonnigen Sonntagen im hautengen Sommerdress an der Haustür vorbeirauschen! Früher haben sich die Leute in eleganten Cabrios zur Schau gestellt. Bella Figura mit Stil, Charme und sechs (oder mehr) Zylindern. Heute zählt auch bei Herren mit angegrauten Haaren eher der definierte Muskelaufbau mit Sixpack statt Bauchspeck. Und statt im Cabrio zu hocken, ist es viel cooler, in einer Kleingruppe von durchtrainierten Männern und Frauen auf superschlanken Carbon-Rennern durch die Gegend zu sausen.

Statistisch verfügt fast jeder Mensch in Deutschland bereits über ein Fahrrad oder E-Bike. Stilistisch ist das aber nicht genug. "Es ist noch längst keine Marktsättigung erreicht!", jubelt der Zweirad-Industrie-Verband ZIV. Es gebe einen deutlichen Trend zum Zweit- oder Drittrad. Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht? Drahtesel schienen wie Pferde eine eher überholte Spezies zu sein. Dann kamen mit dem Elektro-Boom neue Nutzergruppen und Einsatzmöglichkeiten. Also ein stabiles Rad für die Stadt, eventuell ein langes Lastenfahrrad für den Transport von Kindern und Einkäufen. Oder darf es ein Fully-Mountainbike mit Mofa-Motor, zentral gefederter Hinterachse und dicken Schlappen sein? Und dann noch das besagte Rennrad fürs Wochenende, nur stilecht ohne E-Antrieb.

Man kann den Trend begrüßen, weil dadurch vielleicht weniger Auto gefahren wird (was in Verkehrsprognosen nur wenig ausmacht). Oder man kann sich über das Gewimmel auf den städtischen Radwegen ärgern, wo die Lastenfahrräder wie schwere Streitwagen durch die Menschenmengen pflügen und von hinten die Rennradfahrer drängeln. Wirklich entscheidend ist aber eine andere Frage: Was kommt nach dem Drittrad?

Vielleicht sollten die Fahrradhersteller mal bei der Autoindustrie spicken. Luxusprodukte verkaufen sich nämlich auch dann, wenn die Garage bereits voll ist. Und manchmal geht es dabei zu wie bei einem Pop-Konzert. Etwa beim Jahresevent der italienischen Modemarke Moncler in London. Das sind diejenigen, die aus hochalpiner Funktionswäsche jene hochpreisigen, gepufften Daunenjacken gemacht haben, die It-Girls und Star-Rapper unbedingt tragen müssen.

Der Michelinmännchen-Look ist derart hip, dass 40 000 Fans keine Eintrittskarte mehr für das Event im Februar ergattern konnten. Special Guest der Veranstaltung war eine Designstudie von Mercedes: ein Geländewagen mit aufgepolsterten Riesenrädern. Auch das Dach des "Mondo G" hatte eine silberne Pufferjacke mit Reißverschluss an.

Was die Fahrradmarken aus der Mixtur von Mode, Mondauto und Monstertruck lernen können? Dass es um mehr als Sport oder gar profane Fortbewegung geht. Fahrräder müssen nicht nur zum jeweiligen Transportzweck passen, sondern auch zum Instagram-fähigen Freizeitfoto. Also auch zum entsprechenden Dresscode und womöglich noch zur Wohnungseinrichtung. Dem Accessoire auf zwei Rädern sind eigentlich keine Grenzen gesetzt.

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