Süddeutsche Zeitung

Eishotel in Lappland:Schlafen im Gefrierfach

Lesezeit: 6 min

An vielen Orten kann man in einem Eishotel übernachten. Aber nirgends so stilvoll wie im schwedischen Original. Ein Besuch.

Von Monika Maier-Albang

Die erste Frage, die einem angesichts der bevorstehenden Nacht bei Minusgraden durch den Kopf geht, ist merkwürdigerweise diese: Wird das Gepäck festfrieren? Erst dann macht man sich Gedanken über womöglich auf einen herniederstürzende Eismassen und, natürlich, über die Frage aller Fragen: Wohin, wenn der Druck auf die Blase zu groß wird?

In jedem Jahr wird das Icehotel von 30 Künstlern neu gestaltet: der Eingang zur Ceremonial Hall, wo geheiratet wird.

Schlafen unter Quallen: Matratze, Rentierfell und Schlafsack lassen einen die Kälte kaum spüren.

Hanna Keinil gehört zum Volk der Samen und führt Gäste in deren Leben und Kultur ein.

Hier ist der Winter: Das Eishotel wird jeden Herbst mit eisblöcken aus dem gefrorenen Fluss gebaut.

Bei den Samen darf man auch die zahmen Rentiere füttern.

Ein bisschen Esoterik-Kitsch gehört auch dazu.

Nun, Letzteres ist einfach zu klären. Es gibt Toiletten im Eishotel im Ort Jukkasjärvi, der weit im Norden Schwedens oberhalb des Polarkreises liegt. Die Toiletten befinden sich außerhalb des "kalten" Bereichs, und diese Unterscheidung ist generell wichtig für alle, die vorhaben, im Icehotel zu übernachten. Es gibt "cold rooms", also Räume, umgeben von und verziert mit Eis. Und es gibt "warm rooms" - geheizte Gästezimmer, das Restaurant, die Lobby mit angeschlossener Bar und ein weiteres Gebäude, in dem eine Sauna untergebracht ist sowie ein Informationsdesk, an dem man Schutzanzüge, warme Schuhe und Handschuhe für Aktivitäten im Freien erhält. Und in dem eben die Toiletten sowie Spinde und Umkleidekabinen liegen. Womit auch die erste Frage geklärt wäre: Das Gepäck bleibt über Nacht im Warmen. Am Infodesk hatten sie geraten, die Brille nicht mit in das Zimmer zu nehmen, in dem es minus fünf Grad hat. Man sollte diese Empfehlung unbedingt beherzigen. Tut man es nicht, sind die Gläser am Morgen blindgefroren, auch wenn man die Brille vorsichtshalber ins ausliegende Rentierfell gewickelt hat.

In der Kapelle geben sich jeden Winter zig Hochzeitspaare frierend das Jawort

Die Nacht an sich verläuft unspektakulär. Angesichts des Preises fast schon etwas zu unspektakulär. Man bettet sich mit Schlafsack und Laken, die am Desk ausgegeben werden, auf einen Eisblock, auf dem schon Fell und Matratze liegen. Man schläft ein, wacht morgens auf, wundert sich über die Abwesenheit jedweden Geräusches, obwohl es doch keine Türen, nur Filzvorhänge gibt. Alles um einen herum ist unwirklich weiß und still. Und unfassbar weit weg vom Alltag, was für viele wohl gerade den Reiz dieses Hotels ausmacht. Abgesehen davon natürlich, dass man die Fotos aus jedem der insgesamt 55 Eiszimmer wunderbar posten kann. Wie auch die Fotos der anderen Räume - der Eisbar, der Kapelle, in der sich jeden Winter zig Hochzeitspaare frierend das Jawort geben. Tagsüber ist das Hotel ein Museum. Es gibt Führungen durch die von Künstlern gestalteten Zimmer, in denen zarte Quallen von der Decke schweben, Löwen aufs Bett starren, eine Bibliothek aus Eis zum Nichtverweilen einlädt. Welchen Raum man bekommen wird, erfährt man erst am Abend.

Es wird dann: "White Santorini", gestaltet von Haemee Han und Jae Yual Lee. Keine Ahnung, warum die Südkoreaner die sonnengeflutete Ägäis-Insel ins Eis gebannt haben, vermutlich, weil sowohl das Eis wie auch die echten Häuser Santorins weiß sind. Aber alles besser, als ein Bett zwischen zwei Ameisen in Sofagröße zu bekommen. "Subterranean", unterirdisch, haben die Künstler Daniel Rosenbaum und Jörgen Westin ihr Krabbeltierzimmer genannt.

Am Abend, vor dem Zubettgehen, erfüllt mächtiges Gekrusche den Umkleideraum, weil jeder zigmal um- und aus- und wieder einpackt. Um sich mit der bestmöglichen Kombination aus Mütze, Wollsocken, langer Merino-Unterhose und kuschelig-warmem Oberteil zu wappnen. Am Nachmittag hatte es eine Instruktion für all jene gegeben, die im "cold room" übernachten. Es soll trotzdem schon vorgekommen sein, dass Leute ihre Schuhe im Schlafsack anbehalten haben. Nicht jeder hier ist geübt im Umgang mit Kälte. Das betrifft die Gäste, die ein bunter Mix aus tendenziell wohlhabenden Asiaten, US- und sonstigen Amerikanern, vielen Briten (es gibt einen Direktflug von London ins nahe gelegene Kiruna) und anderen Europäern sind. Es gilt aber auch fürs Personal, unter dem man Australier und sonstige Menschen findet, die einfach mal Schnee und Kälte erleben wollen und von denen viele in diesem Winter auch ihre erste Saison im Hotel verbringen. Was die Ausflüge und Touren durchs Hotel unterhaltsam macht, weil die Führer nicht gefühlt zum 50. Mal denselben Witz erzählen. Bei Organisationsfragen allerdings ist schon manch hartnäckiges Nachfragen erforderlich.

Neu im Hotel ist ebenfalls die Managerin, Malin Franck. Sie hat sich vorgenommen, das Icehotel, das gerade 30 Jahre alt geworden, in dieser Zeit nie eingestürzt, dafür aber mehrfach kopiert worden ist, ins digitale Zeitalter zu führen. Noch bekommt man am Ort bei den Touren zwar die Entstehungsgeschichte rund um den Gründer Yngve Bergqvis erzählt, kann sich aber nur schwer vorstellen, wie das Hotel selbst Herbst für Herbst aufgebaut wird. Es gibt dazu wunderbare Youtube-Filme und -filmchen, deshalb sei auch hier nur so viel gesagt: Das Eis wird im März aus dem nahe gelegenen Fluss Torne geschnitten, den Sommer über werden die Blöcke in einer riesigen Halle gelagert, und im Herbst, sobald es kalt genug ist, mithilfe von Schneekanonen, Baggern und viel Ideenreichtum zu Gebäuden geformt.

Die Innenausstattung übernehmen stets 30 - jedes Jahr neu ausgewählte - Künstler, die nur zwei Wochen Zeit zum Gestalten haben. Die Gäste warten ja bereits. Das Hotel ist zwar ein Kunstprojekt, vor allem aber ein lukratives Unternehmen, das auch noch 72 normale, also beheizte Zimmer anbietet. Weshalb es auch den Sommer über betrieben wird, zumindest in Teilen - mit runtergekühlter Eisbar samt Einweggläsern aus Eis und täglichen Eisschnitzkursen für die Gäste.

Für die ausgehende Saison bekommt das Hotel noch ein Kunstobjekt dazu. Von März bis Mai wird das "Solar Egg" auf dem Gelände des Eishotels Station machen. Die außen goldfarben schimmernde, haushohe Sauna in Eiform wurde entworfen von den Künstlern Mats Bigert and Lars Bergström - das "Ei" soll dabei eine Anspielung auf die "Wiedergeburt" der Stadt Kiruna sein. Die nördlichste Stadt Schwedens nämlich wird gerade verlegt. Weg von den Eisenvorkommen, die bis unter das Stadtgebiet reichen.

Auftraggeber für das Solar-Ei ist die schwedische Wohnungsbaugesellschaft Riksbyggen, die für die Neugestaltung von Kiruna zuständig ist. Und wieder einmal zeigt sich hier, wie perfekt die Schweden es beherrschen, die Kunst mit dem Geschäft zu verbinden und das Ganze auch zeitgemäß zu überhöhen. Denn natürlich soll das Solar-Sauna-Ei, das nach seiner Erschaffung 2017 schon in Paris, Stockholm, Kopenhagen und in Minnesota aufgebaut wurde, irgendwie auch auf den Klimawandel hinweisen. Eine Bereicherung für die Gäste ist die Sauna-Kunstinstallation sicher. Denn die Sauna, die es bislang im Eishotel gibt, ist zweckmäßig. Aber auch nicht mehr.

Von Mitte April an wird sich das Hotelkunstwerk auflösen. Dann fließt es dorthin, woher es kam - in den Fluss Torne. Allerdings werden "Schmelztouren" angeboten - solange die Stabilität gewährleistet und ein Besuch in der Anlage sicher sei, sagt Franck. Die touristisch perfekt erschlossene Winterzauber-Landschaft drumherum hat der Gast dann natürlich nicht mehr: die Touren mit dem Schneemobil zur - möglichen, aber nicht garantierten - Polarlicht-Sichtung, die Ausfahrten mit den Schlittenhunden, das Reitvernügen auf Isländern durch hüfthohen Schnee, die Fotosafari zum Elch im verschneiten Wald. Und schon gar nicht die wirklich empfehlenswerte Tour zum Rentier-Füttern.

Beim Waldausflug lernen die Gäste, dass sich Rentiere nicht von ihnen lenken lassen

Was sich etwas kitschig anhören mag, bekommt durch Hanna Keinil eine unerwartete Tiefe. Keinil ist 19 Jahre alt und, Generation Greta, eine Touristenführerin mit Mission. Sie ist in der Nähe von Jukkasjärvi aufgewachsen, stammt aus einer Samen-Familie, kann erzählen von den Vorurteilen und dem Nichtwissen, denen das indigene Volk nach wie vor ausgesetzt ist. Sie berichtet vom Kampf um Jagd- und Fischereirechte, um den Landbesitz, den Erzabbau und wie noch ihrer Großmutter die Sprache ihres Volkes ausgetrieben und dafür der christliche Glaube aufgezwungen wurde. Vor allem aber kennt Hanna das Leben mit den Rentieren. Diese leben zwar wild im Wald, sind aber vertraut mit ihren Menschen. Auch wenn die Samen heute Schneemobile dem Rentierschlitten vorziehen, fühlen sie sich nach wie vor verantwortlich für die Tiere. Weil der Winter immer unberechenbarer und die Schneedecke zu warm und zu fest wird, müssen die Rentiere mittlerweile gefüttert werden. Trotzdem würden die Herden immer kleiner, sagt Hanna Keinil.

In Jukkasjärvi verbindet ihre Familie Notwendiges mit Nützlichem, indem man zahlende Touristen zur Fütterung hinzuholt. So hält man als Gast also getrocknete Flechten und Moose in der froststarren Hand, ein weiches Rentiermaul greift danach. Das Tier ist sanft zum Fütternden, unsanft zu den benachbarten Konkurrenten. Am Ende spannt Hanna noch drei Männchen vor traditionelle Schlitten und lässt sie, mit je einem Gast darauf, einen Parcours ablaufen. Lenken lassen sich die Rentiere vom Laien nicht, schnell sind sie nur am Anfang, da aber laufen sie erstaunlich behände auf ihren Schneeschuh-Hufen. Wie hatte Malin Franck noch gesagt: "Der Wald, das ist unser Spa." Die Freude am Winter, an der Kälte, selbst an der Dunkelheit: Man versteht sie auf einmal.

Später, im Touristen-Tipi am Lagerfeuer, reicht Hanna zu Fladenbrot und Souvas, geräucherten Rentierstreifen, warmen Preiselbeersaft in Schöpfkellen aus Birkenholz. Preiselbeersaft würde es auch im Eishotel geben, zum Wecken nach der Nacht im "cold room". Doch man ist um sechs Uhr morgens schon wach, muss raus aus dem Schlafsack, in besagtes Nebengebäude. Und steht nun vor der Wahl: zurück ins Eis. Oder gleich Frühstück im Warmen. Der Kaffee gewinnt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4820066
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.02.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.