Süddeutsche Zeitung

Berge:Friede den Hütten

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Selbst die Alpen sind nun leer. Aus gutem Grund. Freizeitsportler sollen keine Unfälle verursachen, weil das medizinische Personal nun dringender denn je gebraucht wird.

Von Dominik Prantl

Wie in so vielen Bereichen des Lebens haben sich auch bei den Wintersportlern die Prioritäten verschoben. So ging es vor wenigen Wochen noch gerne um die Frage, wie viel Schnee der bislang eher wechselhafte Winter für ein ordentliches Finale der Ski- und Skitourensaison denn so bringt. Und noch am vergangenen Sonntag hatte es trotz Corona einen Massenansturm auf vor allem mit Gondeln erreichbare Berge der bayerischen Alpen wie den Herzogstand und die Zugspitze gegeben. Inzwischen sind jedoch selbst die Berge und Skigebiete bei bestem Wetter so leer wie wahrscheinlich noch nie seit Einführung des Hochtourismus. Auf absehbare Zeit wird sich das auch nicht ändern. Die Bergbahnen haben den Betrieb alpenweit eingestellt - mancherorts zu spät, wie Kritiker jetzt meinen. Denn vor allem der Halligalli-Ort Ischgl entpuppte sich als Brutstätte für das Coronavirus. Den Verantwortlichen wird vorgeworfen, die Verbreitung der Krankheit aus Profitgier in Kauf genommen zu haben ( die SZ berichtete ). Seit vergangenem Freitag gilt Tirol als Risikogebiet. Dabei wurde Franz Hörl, Obmann des Tiroler Wirtschaftsbundes, in der vergangenen Woche noch mit den Worten zitiert: "Es gibt keinen Grund, davon auszugehen, dass in Österreich Skigebiete geschlossen werden müssen."

Auch jenseits der Pisten geht kaum mehr ein Mensch ins Gelände. Mahnte der Bergrettungsdienst im Alpenverein Südtirol schon vergangene Woche an, auf Skitouren und Bergsteigen zu verzichten, zogen nun andere Alpenvereine, sonst klare Verfechter der Geht-raus-Attitüde, nach. So ruft etwa der Alpenverein Österreich (ÖAV) dazu auf, Bergausflüge in den kommenden Wochen unbedingt bleiben zu lassen. Der Grund ist laut ÖAV-Präsident Andreas Ermacora einfach: "Derzeit wird das medizinische Personal anderswo dringend gebraucht. Die Situation soll nicht durch von Freizeitsportlern verursachte Unfälle zusätzlich verschärft werden." In Tirol sind Skitouren und Wanderungen seitens des Landes inzwischen allerdings ohnehin verboten.

Während sich Bergreiseveranstalter mittlerweile nach den jeweiligen Reisebestimmungen ihrer Länder richten müssen (siehe "Auf Sicht fliegen"), ist wegen der behördlichen Verordnungen auch für die Berghütten im Hochgebirge das Wintergeschäft beendet. Diese hätten eigentlich teilweise bis in den Mai für Skitourengeher geöffnet. Von den Maßnahmen sind auch Selbstversorgerhütten und sogar die für Notfälle vorgesehenen Winterräume betroffen. Der Zentralverband des Schweizer Alpenclubs wie auch der Deutsche Alpenverein empfehlen ihren Sektionen sehr deutlich, die Hütten bis auf Weiteres zu schließen oder gar nicht zu öffnen. Kletterer wiederum, die mit einem Ausflug in nahe und niedrig gelegene Klettergärten liebäugeln, diskutieren auf Online-Portalen, ob eine Ansteckung mit dem Virus über Klettergriffe an viel genutzten Routen möglich ist. Die Frage hat sich zumindest in den inzwischen geschlossenen Kletterhallen erledigt.

Entweder zeigen sich viele der sonst auf ihr Freiheitsrecht pochenden Bergsportler einsichtig - oder ihnen ist schlicht die Lust am Hobby vergangen. In dem Weiler Praxmar, wo die umliegenden Gipfel zu den beliebtesten Skitourenzielen Tirols zählen, blieb der sonst oft überfüllte Großparkplatz in den vergangenen Tagen jedenfalls leer.

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Quelle:
SZ vom 19.03.2020
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