Ukraine

Was wir vom Krieg sehen

Seit Russland vor einem halben Jahr die Ukraine angegriffen hat, dokumentieren Fotografen die Folgen dieses Krieges. Ihre Bilder sind mächtige Zeugen, die Grausamkeiten und Leid festhalten.

24. August 2022 - 4 Min. Lesezeit

Es sind die verschwommenen Aufnahmen einer Überwachungskamera am Grenzübergang Amjansk, die den Moment festhalten: russische Militärfahrzeuge überqueren die Grenze zur Ukraine, es ist der 24. Februar. Für Putin begann damit eine "Spezialoperation". Doch die Bilder der Überwachungskamera schickten eine andere Botschaft in die Welt: Es ist wieder Krieg in Europa.

Noch am selben Tag, an dem die russischen Militärfahrzeuge ins Land rollen, steigt in der Nähe von Charkiw schwarzer Rauch in die Luft. Unzählige Bilder von Menschen, die voll Schrecken die Zerstörung miterleben, werden in den nächsten Wochen auch Menschen außerhalb des Kriegsgebiets erreichen.

Kiew ist schnell das Ziel der russischen Armee. Fällt die Hauptstadt, so fällt das Land, so scheint die Kalkulation der Militärstrategen. Die Straßenschluchten sind leergefegt, es herrscht eine Ausgangssperre. Eine ganze Stadt, so wirkt es, hält den Atem an.

Bilder trauernder Menschen vor Trümmern prägen das Bild der leidenden Zivilbevölkerung von Tag eins des Krieges.

In der verrammelten Stadt postieren sich ukrainische Verbände auf den vielspurigen Straßen, sie legen an auf den Feind - der nicht kommt. Die Eroberung der Hauptstadt bleibt aus, die Soldaten packen ihre Gewehre wieder ein. Der Krieg sollte länger dauern, als viele in diesem Moment wohl geahnt hatten.

Diese Szene spielte sich Anfang März am Bahnhof in Kiew ab: Stanislav verabschiedet sich von seiner Frau Anna und seinem zweijährigen Sohn David, die einen Zug nach Lwiw nehmen. Unzählige Familien und Paare haben in den vergangenen Monaten Abschiede durchgemacht. Männliche Ukrainer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land seit Monaten grundsätzlich nicht verlassen.

Wie wohl kalkuliert die Auftritte sind: Selenskij als der Mann aus dem Schützengraben, dem die nächste Verwandlung gelingt: Vom Schauspieler zum Präsidenten zum Soldaten. Das olivgrüne Shirt wird zu seinem Markenzeichen.

Selenskjis Hemdsärmeligkeit wirkt besonders im Gegenschnitt zu Putins seltsam entrückten Auftritten. Der lässt sich dabei ablichten, wie er Geheimdienstler und Militärs an einem nicht enden wollenden Tisch empfängt, der gleich zum Meme im Internet wird. Die Botschaft scheint klar: Hier maximale Distanz und Beherrschung, während Selenskij sich in Handyvideos weinend filmt. Zumindest den Kampf um das ikonische Moment hat Putin verloren.

Gleichzeitig zeigen Aufnahmen fast absurd anmutende Momente der Normalität und Leichtigkeit: Eine rote Schaukel und damit ein kleiner Rest Kindheit in einer umkämpften Stadt. Es mag sein, dass das Kind hier tatsächlich einen unbeschwerten Moment erlebt, es ist jedoch auch wahrscheinlich, dass Bilder wie dieses aus einem ganz bestimmten Blickwinkel und mit einer Intention aufgenommen werden: Emotionen zu schüren. Unabhängig von der tatsächlichen Entstehungsgeschichte dieses konkreten Bildes: Im Krieg ist es noch wichtiger als im Frieden, Bilder und ihre Wirkung kritisch zu hinterfragen.

Dieses Bild einer hochschwangeren Frau, die über den Hof eines zerstörten Krankenhauses in Mariupol in Sicherheit gebracht gebracht wird, empörte besonders viele Menschen. Der ukrainische Fotograf Evgeniy Maloletka berichtete damals über die Schrecken des Krieges aus dem Krankenhaus in Mariupol.

Auch ein Theater in Mariupol wurde aus einem tragischen Anlass über die ukrainischen Grenzen hinaus bekannt. Hunderte Menschen suchten in dem Theater Schutz, das im Zuge des Krieges angegriffen wurde. Eine Satellitenaufnahme zeigt klar erkennbar einen Schriftzug auf Russisch: "дети" - Kinder. Während der Krieg voranschreitet werden auch immer wieder Satellitenaufnahmen verbreitet und etwa durch Vorher-Nachher-Vergleiche Zerstörungen dokumentieren.

Für Wochen war Butscha, ein kleiner Vorort Kiews, Schauplatz heftiger Kämpfe. Als ukrainische Truppen die Stadt zurückeroberten, wurden Verbrechen sichtbar, die den Blick auf den Krieg prägten. Es gab Aufnahmen toter Menschen. Solche Bilder werfen auch die Frage auf, wie Medien mit Fotomaterial umgehen, auf dem Tote zu sehen sind. Über die emotionale Wirkung von Bildern und ethische Grenzen hat SZ-Autor Nicolas Freund einen Text verfasst, der der Frage nachgeht: Müssen wir das sehen?

Zwei ukrainische Soldaten im Asowstahlwerk wurden im Kampf gegen die russischen Invasoren verletzt. Sie gehören zum Regiment Asow, ein im Zuge des russischen Angriffs 2014 gegründetes Freiwilligenbataillon, das aufgrund seiner Verwendung nationalsozialistischer Symbolik und Verbindung zu rechtsextremen Gruppen in der Kritik steht. Die Lage, der letztendlich in russische Gefangenheit geratenen Soldaten war über lange Zeit prekär, die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten konnte lange nicht sicher gestellt werden.

Dieses ist eines der wenigen Bilder, die während der russischen Belagerung aus dem Asowstahlwerk an die Weltöffentlichkeit gelangten. Es wurde von einem Kämpfer des Regiments aufgenommen. In vielen Fällen gibt es im Krieg keine Bilder von unabhängigen Fotografen.

Wochenlang wurden Dorfbewohner von Jahidne von den Russen in einen Keller gesperrt. An einer Wand wurde eine Liste geführt. Links von einer Holztür die, die erschossen wurden. Rechts von der Tür die, die gestorben waren, weil ihnen das Nötigste fehlte: Luft, Nahrung, Wasser, Sicherheit.

Viele Menschen haben die Ukraine seit Februar verlassen, wie diese Frau, die an der rumänisch-ukrainischen Grenze ihr Kind in den Armen hält. Die Bilder der Flucht prägten den Blick auf den Krieg ebenso wie etwa Aufnahmen der Zerstörung im Land.

Manche sind aber auch geblieben. Wie dieser 66-jährige verletzte Mann. Er sitzt auf einem Stuhl in seiner zerstörten Wohnung in Kramatorsk.

Der 24. August markiert nicht nur sechs Monate Krieg, sondern ist gleichzeitig auch der Unabhängigkeitstag der Ukraine. Vor 31 Jahren, am 24. August 1991, erklärte die damalige Sowjetrepublik Ukraine ihre Unabhängigkeit.

Team
Text Thomas Gröbner, Christina Rebhahn-Roither, Niklas Keller
Bildredaktion Niklas Keller
Redaktion Wolfgang Jaschensky
Digitales Storytelling Niklas Keller