Zwei Mal hat München das Oktoberfest wegen der Corona-Pandemie abgesagt, nun steht fest: Am 17. September 2022 heißt es wieder: „Ozapft is!“
Wie halten es andere Städte auf der Welt mit der Feierei? Wo zögern die Menschen noch, wo liegen sie sich schon längst wieder in den Armen?
Bangkok
Die Feierlaune der Thais ist eines ihrer hervorstechenden Wesensmerkmale. In diesem Jahr allerdings war sie eher noch verhalten, auch bei den drei Silvester-Feten, bei denen normalerweise ganz Bangkok auf der Straße ist. Los ging es in der Nacht des Jahreswechsels, der den Westlern wichtig ist (In Thailand läuft gerade das Jahr 2565, allerdings auch nicht viel besser als 2022 in Deutschland).
Die großen Partys waren auf Geheiß der Regierung kurzfristig abgesagt worden. Auf dem Chao Phraya fuhren trotzdem blinkende Boote, es gab All-You-Can-Eat-Buffet, Travestie-Show, und dazu spielten philippinische Party-Bands (gute Laune garantiert!).
Getanzt sollte allerdings nicht werden. Um Mitternacht fackelten die Hotels ihre Feuerwerke ab, und man konnte, staunend und mit Mundschutz bewehrt, in den Himmel über dem Fluss blicken. Beim Anlegen lag die Stadt bereits im Dunkeln.
Auch die Feierlichkeiten zum „Chinese New Year“, am 1. Februar, wurden offiziell verboten. Als das Wasser-Tiger-Jahr eingeläutet wurde, gab es keine Böllerlei in Chinatown, und sogar Autos konnten sich durch die Yaowarat Road stauen. Nur ein großer goldener Drache, geführt von sechs darin steckenden Menschen, tanzte einmal die Straße hoch und wieder hinunter. Eigentlich ein normaler Dienstagabend.
Als letztes folgte im April das Wasserfest, das traditionelle Neujahr der Thais, Songkran genannt.
Wer ahnungslos und trocken auf die Straße tritt, wird mit einem Eimer Wasser begrüßt und häufig noch mit Mehl bestäubt. Um dem Einhalt zu gebieten, waren die rituellen Feiern erlaubt, das öffentliche Nassmachen aber verboten worden.
Das genügte, um die wilden Partys einzudämmen.
Madrid
Was den Münchnern das Oktoberfest, ist den Madrilenen ihre Fiesta de San Isidro: Einen Festumzug, jede Menge Volksmusik, Tänze und traditionelle Tracht, ja sogar eine historische Festwiese gibt es – und natürlich Alkohol.
Der heißt zu San Isidro zwar limonada, ist aber in Wahrheit mit Früchten versetzter, gekühlter Wein.
Isidor von Madrid ist ein recht sympathischer Patron. Als eines seiner bekanntesten Wunder ist überliefert, dass Engel sein Feld bestellt haben sollen, während er unter einem Baum ein Nickerchen machte. Ein Heiliger, der auch mal Fünfe gerade sein lassen konnte.
Darüber, dass dieses Jahr zu San Isidro besonders groß gefeiert wird, gab es in Spanien keine Debatte. Es ist den Spaniern anzumerken, dass sie langsam genug vom Abstandhalten haben. Menschentrauben sind hier nichts, was man meidet; es gilt: Immer hinein! Dieses Lebensgefühl kehrt nun langsam zurück. Großveranstaltungen finden wieder ohne Auflagen statt. Man vertraut auf die Wirkung der hohen Impfquote, bei den über 40-Jährigen liegt sie bei gut 95 Prozent.
Außerdem hat Spanien die vergangenen Monate genutzt, um Erfahrungen im Umgang mit Massenveranstaltungen zu sammeln. Madrids Opernhaus, das Teatro Real, gibt seit Herbst 2020 wieder Vorstellungen, während anderswo die Bühnen noch lange verwaist blieben.
Und in Barcelona wagte man bereits im Frühjahr 2021 ein Experiment: ein Konzert in einer Halle vor 5000 Zuschauern, alle waren getestet und trugen Maske. Es dürfte die erste Veranstaltung dieser Art in Europa gewesen sein. Das Experiment ging gut aus, es folgten weitere. So hangelte man sich Stück für Stück zurück in Richtung Normalität.
New York
Läge die Theresienwiese in New York City, sagen wir: im Central Park, hätte das Oktoberfest vermutlich bereits im vergangenen Jahr wieder stattgefunden. Die Stadt hatte sich zum Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 in unheimlichster Weise verwandelt, sie wirkte wie das Set eines post-apokalyptischen Films. In Midtown Manhattan, wo man den stählernen Pulsschlag New Yorks vielleicht am deutlichsten spürt, waren die Straßen leer, vor den Krankenhäusern parkten die Kühllaster, weil die Leichenhäuser überfüllt waren. Klingt dramatisch? Es war dramatisch.
Aber schon nach wenigen Monaten erwachte die Stadt wieder zum Leben, und läge die Theresienwiese nun tatsächlich im Central Park: Es ist nicht auszuschließen, dass das Oktoberfest auch 2020 stattgefunden hätte.
Seit längerem hat die überwältigende Mehrheit der Bewohner New Yorks beschlossen, dass die Pandemie keine größere Rolle mehr spielt. In den Musicals am Broadway besteht weiterhin Maskenpflicht, oft wird der Impfnachweis kontrolliert. In der Subway trägt die Mehrheit der Passagiere immer noch Masken. Aber fast alle ziehen sich diese umgehend vom Gesicht, sobald sie die U-Bahn-Stationen verlassen.
In den Restaurants ist alles längst wie früher, in manchen Bars wird man – wie früher - auch als Mensch mittleren Alters nach einem Ausweis gefragt, um zu beweisen, dass man älter als 21 ist, aber den Impfnachweis will niemand mehr sehen.
Gefeiert wird in New York längst wieder wie vor den Tagen, als Manhattans Straßen ein einziges und hoffentlich letztes Mal frei von Menschen waren.
Kapstadt
Natürlich wurde das Oktoberfest nicht in München erfunden, sondern in Südafrika. Die Deutsche Schule in Pretoria wirbt zumindest damit, dass dort das „Original“ zu finden sei, eine jährliche Sause mit Eisbein, Sauerkraut und Bier, zu der um die 10 000 Besucher kommen.
Im Kleingedruckten heißt es dann, dass man zumindest für Südafrika die Urheberschaft beanspruchen könne, wo ja mittlerweile auch in jeder mittelgroßen Stadt ein Oktoberfest gefeiert wird.
Nur während Corona eher nicht, die Deutsche Schule in Pretoria behalf sich 2021 mit der Auslieferung von Oktoberfest-Notpaketen: zwei Bierkrüge, ein Fünf-Liter-Fässchen, zwei Brezen, ein Eisbein, das im Wasserbad erhitzt werden konnte, sowie ein „Party-Manual“, also wohl eine Anleitung zum Feiern zu Hause.
In diesem Jahr steht Großveranstaltungen in Südafrika eigentlich wenig bis nichts mehr im Wege, nach zwei Jahren kann man seit Anfang April draußen auch wieder ohne Maske herumlaufen, Events sind in der Theorie noch auf 50 Prozent der normalen Kapazität begrenzt, in der Realität merkt man davon wenig.
Der Oranjezicht Market in Kapstadt, eine Ansammlung von Ständen mit allem von lokalem Wein und Bier bis zu asiatischen Gerichten und äthiopischem Essen, ist so voll wie nie.
Die Pandemie hat Spuren hinterlassen, aber so langsam gerät Südafrika wieder in Feierlaune. Das AfrikaBurn-Festival ist ausverkauft, die Nachtclubs haben wieder geöffnet. Und auch Oktoberfeste wird es wieder geben, die sich in Südafrika bis in den November ziehen, weil dann der Sommer beginnt.
London
Wer wissen will, wie sehr Corona in London mittlerweile Vergangenheit ist, braucht nur zur Rushhour mit der U-Bahn zu fahren. In der Piccadilly Line war es diese Woche so voll, dass man Glück hatte, wenn man überhaupt einsteigen konnte. Maske trug zumindest im hinteren Waggon niemand.
So wie in der Tube ist es im Grunde überall: Egal ob im Pub, in den Clubs oder auf den Events, die jetzt im Frühjahr wieder stattfinden – es ist verdammt voll. Die Menschen in Großbritannien essen, trinken und feiern wieder so ausgelassen wie vor der Pandemie.
Da ist zum Beispiel das Cheltenham Festival. Vor zwei Jahren galt das Pferderennen als das Superspreader-Event, mit dem Corona sich in England richtig stark verbreitete.
Dieses Jahr, an den drei Tagen im März, war alles wie früher: mehr als 60 0000 Zuschauer pro Tag, die wetteten, tranken und feierten. Eine Riesenparty das Ganze, die Pferde mittendrin.
Oder das Box-Spektakel vergangenes Wochenende in Wembley. Mehr als 90 000 Zuschauer waren im Stadion, als Weltmeister Tyson Fury seinen Schwergewichts-Titel verteidigte. Wie im Pub gibt es auch im Stadion keinerlei Beschränkungen. Kein 3G, kein 2G, in England gilt: 0G.
„Back to normal“ – so lautete die Ansage von Premier Boris Johnson, der seinerseits noch immer wegen diverser Lockdown-Partys um sein politisches Überleben kämpft. Aber davon abgesehen ist Corona tatsächlich aus dem britischen Alltag verschwunden. In London werden die Straßen von Woche zu Woche voller, die Touristen sind wieder da – und mit ihnen das Geld, das ausgegeben wird. In den Theatern, in den Clubs und in den Pubs. Zwischendurch geht es zum Shopping in die legendären Kaufhäuser wie Harrods oder Fortnum & Mason. Alles ohne Maske.
Und wenn man doch eine Gruppe mit FFP-2-Gesichtsbedeckung sieht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie aus Deutschland kommt.
Rom
In Italien, wo die Einschränkungen während der Pandemie wohl so hart und unangefochten waren wie sonst nirgendwo in Europa, tastet man sich gerade erst wieder vorsichtig ans pralle Leben heran: mit einer Mischung aus Euphorie und Sorge, die Spirale könnte schnell wieder zurückdrehen.
Die Aussicht, etwas live erleben zu können und in Gesellschaft, ist ein toller Treiber, auch wenn es sich noch halb verboten anfühlt. Die großen Kulturstädte Venedig, Rom und Florenz sind wieder so voll mit Touristen wie vor der Pandemie, da kommt man gar nicht um das Massenerlebnis herum, selbst wenn man wollte.
Die italienischen Fußballstadien dürfen erst seit ein paar Wochen voll ausgelastet sein, „cento percento“ – und sie sind es nun so oft wie seit Jahrzehnten nicht mehr. In Rom etwa, wenn die AS Roma spielt, in Mailand und Neapel auch. Noch gilt Zertifikatspflicht für den Zutritt zu den Arenen, auch Gesichtsmasken wären eigentlich noch obligatorisch, doch bald sollen die Vorschriften gelockert werden.
Als neulich bekannt wurde, dass die römische Rockband Måneskin, 2021 Siegerin des Eurovision Song Contest, am 9. Juli im Circo Massimo auftreten wird, dem Circus Maximus der alten Römer, waren in kurzer Zeit alle 70 000 Tickets weg.
Auch Vinitaly, die große Weinmesse in Verona, fand nach zwei Jahren Pandemie-Pause neulich zum ersten Mal wieder statt. Vier Tage, als wäre nichts gewesen. Zwar kam etwa ein Viertel weniger Besucher als 2019, aber es kamen trotzdem viel mehr als erwartet: 90 000.
Sehr vorsichtig gibt man sich bei den Veranstaltern der sagre – so nennt man die vielen Dorffeste in Italien. Die sind thematisch breit gefächert und feiern, wie kann es anders sein, in den allermeisten Fällen das regionale Essen und das Trinken. Alles dabei: das Volksfest der Steinpilze, des Spanferkels, der Artischocken, des Wildschweins und von tausend Köstlichkeiten mehr.
Viele Dörfer schreiben ihre Feste nun mit der Prämisse aus, es könne auch sein, dass man dann in letzter Minute doch noch absagen müsse, sollte sich nämlich die epidemische Lage wieder verschlechtern. Gerade im Herbst, wer kann das schon vorhersagen?
Kopenhagen
Wahrscheinlich kein Zufall, dass die dänischen Feuilletons gerade jetzt ein Buch feiern mit dem Titel „Party – Feier, Rausch und Rituale“. Endlich, schreibt der Kritiker der Zeitung „Politiken“, habe man wieder die Möglichkeit, „zu feiern, zu tanzen, die Ekstase zu kultivieren“. Praktisch auch, dass dieses Buch ein Sammelband von Forschern des Dänischen Nationalmuseums ist: die wissenschaftliche Legitimation des endlich wieder erlaubten kollektiven Rausches gewissermaßen.
Die Dänen haben als erste in der EU den Covid-Ausnahmezustand vergangenen November abgeschafft. Erstaunlich schnell und von hohen Impfzahlen bestärkt, haben sie daraufhin den Gedanken an das Virus verdrängt. Feste absagen, und seien sie noch so groß, egal ob wegen Virus oder Krieg, käme hier im Moment niemandem in den Sinn.
Im Gegenteil. Die Leute brennen aufs Feiern, und kein Politiker käme auf die Idee, sich ihnen in den Weg zu stellen. Vergangenen Freitag wurde das Tivoli im Herzen Kopenhagens bei einem Rapkonzert von Feierwilligen so überrannt, dass am Ende Tausende draußen auf der Straße stehen mussten.
Das ganze Land freut sich aufs Roskilde Festival Ende Juni - mit fast 120 000 Besuchern eines der größten Musikfestivals Europas, das nun, nach zwei Jahren Pause mit einem Lineup von mehr als 130 Künstlern noch größer werden will als je zuvor.
Die „musikalische Antwort auf Weihnachten“ sei das, freut sich die Zeitung Berlingske: „Der Sommer kann gar nicht schnell genug kommen“. Und auch die Riesen-Straßenparty „Distortion“, bei der mehr als 100 000 meist jugendliche Besucher zu verschiedensten DJ-Sets in angesagten Stadtteilen Kopenhagens tanzen, findet wieder statt. „Distortion“ teilt mit der Münchner Wiesn im Übrigen einige Probleme, gelobte aber – wieder einmal – Besserung beim Thema Wildbieseln und Wildspucken.
In dem oben genannten Party-Sammelband findet sich übrigens die schöne Inuit-Legende, die von den ersten Menschen erzählt, die ein recht trauriges Leben führten, das sich allein ums Überleben drehte. Bis eines Tages ein Tiergeist einen jungen Mann entführte - und ihm beibrachte, was den Menschen erst zum Menschen macht: Singen, Tanzen, Feiern.
Tokio
An diesem Freitag hat die Goldene Woche begonnen, die längste Abfolge von Feiertagen im japanischen Kalender. Und diesmal soll wirklich wieder gefeiert werden, nachdem Beschränkungen und Absagen in den vergangenen zwei Jahren der Pandemie keine echte Ferienlaune aufkommen ließen. Die Zeit der Notstandsverordnungen und frühen Sperrstunden ist längst vorbei.
Allein für Tokio sind diverse Spaß- und Kultur-Veranstaltungen angekündigt. Fleisch-Festival in Odaiba. Teigtaschen-Festival in Komazawa. Kambodscha-Festival in Harajuku.
In Japan ist die Stimmung oft eher reserviert, aber man spürt schon, dass Bedarf herrscht, mal wieder leibhaftig zusammenzukommen.
Davon konnte man sich schon vergangenes Wochenende überzeugen: reger Betrieb im Shakujii-Park von Nerima beim Historien-Spektakel Teruhime Matsuri.
Trotzdem ist noch nicht alles wie vor der Pandemie. Die Selbstdisziplin der Menschen in Japan war von Anfang an groß. Sie ist es weiterhin. Nach Zahlen der Regierung vom Montag haben 86,9 Prozent aller Japanerinnen und Japaner über 65 ihre dritte Impfdosis bekommen. Und der oberste Corona-Regierungsberater Shigeru Omi hat diese Woche erklärt, dass es okay sei, an der frischen Luft bei ausreichend Abstand auch mal keine Maske zu tragen. Aber die Leute legen ihren Mund-Nase-Schutz nicht so schnell ab. Vorerst sieht man so gut wie keine unbedeckten Gesichter in Japan, egal ob in Tokio oder im entfernten Kaff, drinnen oder draußen, im Alltag oder bei Festivals.
In Nerima herrschte unter anderem deshalb keine ungezügelte Heiterkeit. Auch nicht bei der Parade der Tokyo Rainbow Pride, für die man sich anmelden musste, weil die Teilnehmerzahl begrenzt war. Dazu kommt, dass immer noch die Einreisesperre für ausländische Touristen gilt. Dadurch bleibt die Stimmung gerade grundsätzlich auf stabilem japanischen Niveau. Das heißt: Es wird auch an Feiertagen selten laut.