50 Jahre Bobbycar

Glück auf Rädern

Warum ist eine fränkische Lauflernhilfe aus Plastik seit einem halben Jahrhundert so erfolgreich? Vielleicht, weil sie eine Droge ist.

Von Gerhard Matzig
4. Februar 2022 - 6 Min. Lesezeit

Wenn am Ende der Eberhofer-Folge „Leberkäsjunkie“ halb Niederkaltenkirchen auf Bobbycars im Graben landet, unter den Augen des Dorfpolizisten Franz Eberhofer, dann ist auch Günther Beckstein in Erinnerung. Der Ex-Ministerpräsident, er ist wie das Bobby-Car Mittelfranke, sagte einst im Bierzelt: „Es ist nicht das Problem, wenn einer eine Maß trinkt (...) oder auch zwei.“ In Fürth, wo das Bobby-Car vor 50 Jahren erfunden wurde, hört man das gern.

Das Spielzeugauto, mehr Quad als Auto und wenn doch, dann ein Cabrio, darf man auch ohne Führerschein führen.

Fahren. Schieben.

Im sehr menschlichen Wunsch, der darin besteht, nicht da zu sein. Sondern dort.

Das Spielzeugauto, mehr Quad als Auto und wenn doch, dann ein Cabrio, darf man auch ohne Führerschein führen.

Fahren. Schieben.

Im sehr menschlichen Wunsch, der darin besteht, nicht da zu sein. Sondern dort.

In diesem Land kann man dem Beckstein-Theorem nach selbst nach der zweiten Mass prima das Dortige mit dem Auto erreichen. Erst kam das erwartbare Grölen im Zelt, dann der erwartbare Groll. Draußen. Der Ministerpräsident war bald keiner mehr. Die Mass war voll, das Maß aber auch. Wie die Niederkaltenkirchener, die den ersten Geburtstag von Eberhofers Sohn Paul mit einer Bobbycar-Rallye beenden. Zu deren Voraussetzungen es gehört, mindestens zwölf Monate alt und 1,5 Promille intus zu haben. Wolfi: „Frauen eins-komma-zwei.“ Simmerl: „Minimum.“

Klingt lustig. Ist es auch. Bis sich herausstellt, dass der Geschwindigkeitsrekord auf einem umgebauten Bobbycar bei 119 km/h liegt. Aufgestellt in Bottrop-Kirchhellen. Vor vier Jahren. Das Triebwerk des Bobbycars fing seinerzeit Feuer. Am Ende landen aber auch Susi und Franz befeuert vom Spirit of Ecstasy erst im Graben, dann im Bett. Der fanfarenhupenhafte Dreiklang aus Sex, Rausch und Bobbycar aus der Eberhofer-Saga ist vermutlich die größte Hommage an die fränkische Lauflernhilfe.

Wie vieles, was gut ist, das Münchner Olympia-Areal, die erste Folge von „Raumschiff Enterprise“ und ein Benzinpreis von ungefähr einer halben Mark, kommt es aus dem Jahr 1972. Damals wurde das Vehikel auf der Spielwarenmesse in Nürnberg vorgestellt.

Das Fachblatt auto motor und sport schrieb jüngst über das Bobbycar: „Für viele ist es das erste Auto ihres Lebens und die Einstiegsdroge bei diesem Thema.“

Schon sind wir wieder bei der Frage, wie besoffen einen die Mobilität macht, wenn sie auf Speed ist.

Wie vieles, was gut ist, das Münchner Olympia-Areal, die erste Folge von „Raumschiff Enterprise“ und ein Benzinpreis von ungefähr einer halben Mark, kommt es aus dem Jahr 1972. Damals wurde das Vehikel auf der Spielwarenmesse in Nürnberg vorgestellt.

Das Fachblatt auto motor und sport schrieb jüngst über das Bobbycar: „Für viele ist es das erste Auto ihres Lebens und die Einstiegsdroge bei diesem Thema.“

Schon sind wir wieder bei der Frage, wie besoffen einen die Mobilität macht, wenn sie auf Speed ist.

Das Bobbycar gibt es auch mit Polizei-Blaulicht, in der Variante „Baby Porsche 911“ (113 Euro) und als Modell „Neo Zartrosa“, das auf der Hersteller-Homepage als „Facelift einer Legende“ gepriesen wird und über einen „hochwertigen Kühlergrill in Form eines Büffels“ verfügt.

Dass der Büffel nicht hellblau, sondern zartrosa ist: Das verdient ein Sonderlob von der Genderforschung. Dankbar werden wir auch noch zu den „breiten Flüsterreifen“ kommen, die „für guten Grip sorgen“. Die Deutschen mögen die Pisa-Bildungstests immer wieder versemmeln, was aber die vier Räder angeht, die die Welt bedeuten: Da macht uns niemand was vor, das saugen wir quasi mit dem Mutterdiesel auf.

Das Bobbycar begleitet den größten deutschen Fetisch von Kindesreifen an.

Das ist die Schönheit der Mobilität einerseits – und der Wahnsinn, der darin wohnt, andererseits.

Das Vierrad aus Polyethylen weist über sich hinaus.

Im Werk in Burghaslach laufen täglich 2000 Rutschautos vom Band.

Wenn man mal das Plastik weglässt, das bald in den Ozeanen strudelt: voll umweltgerecht.

Nimm das, Tesla.

Das Bobbycar begleitet den größten deutschen Fetisch von Kindesreifen an.

Das ist die Schönheit der Mobilität einerseits – und der Wahnsinn, der darin wohnt, andererseits.

Das Vierrad aus Polyethylen weist über sich hinaus.

Im Werk in Burghaslach laufen täglich 2000 Rutschautos vom Band.

Wenn man mal das Plastik weglässt, das bald in den Ozeanen strudelt: voll umweltgerecht.

Nimm das, Tesla.

Das Bobbycar ist die Hauptfigur eines Entwicklungsromans. Manchmal entwickelt sich auch etwas zurück. Als eine Art Urkäfer unter den Lernlaufhilfen ist es auch das ideale Gerät, um später das Gehen schnellstmöglich zu verlernen in der Fahrschule des Lebens. Eine der Folgen: hilflos herumirrende Mobilisten, nahezu immobil, die Stunde um Stunde das eigene Wohnquartier in Feinstaub überführen. Der Parkplatzsuchverkehr, vielleicht das schönste deutsche Wort, macht ein Drittel des Innenstadtverkehrs aus. Am Verkehr ist manches verkehrt.

Man könnte gelegentlich zu Fuß zum Bäcker gehen. Dann ist das Auto traurig. Hat keinen Auslauf, nur Auspuff. Und wer schon mal eine tapezierte, beheizte Garage kennenlernen durfte, zum Beispiel in Stuttgart, ahnt: Das Auto ist ein Familienangehöriger. Mitunter ist man narrhaft verliebt ins Auto. Legt sich einen Teppich rein. Streichelt über Chrombrüste und schwellende Blechhüften. Aber auch diese Form der autoerotischen Verirrung könnte früh angelegt sein in der freudianisch sensiblen Bobbycar-Phase. Auf der Hersteller-Homepage gibt es einen Hinweis auf die angenehme Haptik.

Das Auto ist so oder so eine Konsequenz früher Prägung. In München ist es das Drittauto wie bei der vierköpfigen Familie gegenüber, die leider trotzdem nur eine Garage hat, aber dafür den Bürgersteig für all ihre anabolikahaft ausgebeulten Distinktionsversuche reklamiert. Für viele Menschen ist das eigene Vehikel was Existenzielles. Was Sexuelles. Manchmal was Krankes. Das gilt nicht in Niederkaltenkirchen und anderen Jenseits-Regionen.

Inzwischen gibt es auch Bobbycar-Whisper-Wheels – auf gute Nachbarschaft

Versöhnlich ist der Titel, der dem Rutschrad zwar nicht vom Verkehrsclub, aber von der taz verliehen wurde: Als „großen Erfolg für die deutsche Autoindustrie“ würdigte die Zeitung das Bobbycar – es sei das umweltfreundlichste Fahrzeug, weil es null Liter Kraftstoff verbrauche. Das ist korrekt. Wenn man auch sagen muss, dass täglich 2000-mal Polyethylengranulat unter Ökosiegel-Aspekten einen kleinen Punkteabzug bedeuten. Das aus essbaren Kaffeebechern gefertigte und fair gehandelten Bobbycar ist die Aufgabe von morgen. Die Bobbycar-Whisper-Wheels sind schon heute da. Wenn Sie sich gern den Eltern in der Wohnung darüber mitteilen möchten, die gerade die Anschaffung eines Bobbycars in Betracht ziehen, schicken Sie denen einen Link zum Nachrüst-Rädersatz. Auf gute Nachbarschaft.

Das Rollgeräusch wird merklich gedämpft. Hoffentlich. Das Geräusch, das Reifen aus hartem Kunststoff auf Dielenböden oder Asphalt verursachen, führt sonst in den sofortigen Ertaubungswunsch. Motörhead ist nichts dagegen. Einmal im Leben, das genügt, war man im Niederbayerischen unterwegs – in einem „Baby & Kinder Bio-Ressort“. Wie man auf die Idee kam, weiß man nicht mehr, vielleicht hatte man schon den Verstand verloren. Wegen der Wohnung drüber. Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister soll mal gesagt haben, sie seien so laut, „dass dein Rasen eingehen wird, wenn wir ins Nachbarhaus einziehen“. Gilt auch für Dielenböden und Bobbycars.

Jedenfalls kam man in Niederbayern im Kinderhimmel an und war in der Hölle. Die Lobby: ein Autodromo Nazionale di Monza voller Bobbycars und rasender Zwerge. Aber Bio. Voller Eltern, die angestrengt weghören und weggucken. Seither hat man bisweilen ein kleines Summen im Ohr. Ein überfahrener Zeh erinnert ebenfalls an Monza. Der Unfallgegner ist bis heute flüchtig. Dessen Eltern auch.

Ein Wort zur Gnade der frühen Geburt. Als das Bobbycar auf die Welt kam, war man neun und fuhr standesgemäß ein Bonanzarad. Als Niederbayer ist man grundsätzlich gern mobil. Unterwegs sein heißt woanders sein. Die Welt steht aber im Stau, Diesel ist teuer, Deutschland debattiert über die Pendlerpauschale, die Grünen wollen, dass das Lastenfahrrad ins Grundgesetz und das Einfamilienhaus ins Fegefeuer kommt – und es ist Pandemie. Was bleibt, ist die Sehnsucht danach, nicht da, sondern dort zu sein. Alles Gute, Bobbycar.

Team
Text Gerhard Matzig
Digitales Storytelling Jakob Biazza
Bildredaktion Stefanie Preuin
Digitales Design Dominik Wierl