Süddeutsche Zeitung

Wikileaks:Kampf um Assange

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Die USA fordern weiter die Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Nun zweifeln sie im Londoner Berufungsverfahren ein Gutachten zu seinem Gesundheitszustand an.

Von Alexander Mühlauer, London

Vor dem Gericht haben sie ein Mikrofon aufgestellt, sie nennen es "das Mikrofon des Volkes". Eine Frau mit rotem Mantel und Wollmütze nimmt es am Donnerstagvormittag in die Hand und sagt: "Hi, ich bin Rachel aus Birmingham." Sie sei hierher nach London gekommen, um für die Freilassung ihres Helden zu demonstrieren. Dann ruft sie: "Free Julian Assange!" Es dauert nur eine Sekunde, und schon stimmen die Menschen um sie herum mit ein: "Free Julian Assange!"

Es sind gut 70 Demonstranten, die sich vor dem Zaun der Royal Courts of Justice versammelt haben. Viele kennen sich, sie haben in den vergangenen Jahren schon einige Tage draußen vor Gericht verbracht, um für ihn zu kämpfen: Julian Assange, Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks. Noch immer fordern die USA seine Auslieferung - und so begann in dieser Woche ein Berufungsverfahren am Londoner High Court, nachdem ein Bezirksgericht im Januar geurteilt hatte, dass Assange wegen seines Gesundheitszustands und den zu erwartenden Haftbedingungen nicht in die USA überstellt werden könne.

Es ist die jüngste Wendung im Kampf des mächtigsten Staates der Welt gegen den wohl mächtigsten Enthüllungsaktivisten der Welt. Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen Julian Assange. Sollten die USA diesen Kampf gewinnen und der Wikileaks-Gründer tatsächlich ausgeliefert werden, drohen ihm eine Anklage in 18 Punkten und bis zu 175 Jahre Haft.

Dem 50-Jährigen soll auf Grundlage des "Espionage Act" der Prozess gemacht werden. Das mehr als hundert Jahre alte Gesetz sollte ursprünglich verhindern, dass militärische Geheimnisse an Kriegsgegner verraten werden. In den vergangenen Jahren wurde es vor allem gegen Whistleblower eingesetzt. Die USA werfen Assange vor, dass er geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht haben soll.

"Bedrückendes Suizidrisiko"

Vor dem Londoner High Court ging es am Mittwoch und Donnerstag allerdings weniger um das, was Assange zur Last gelegt wird, als um seinen Gesundheitszustand und die in Amerika drohenden Haftbedingungen. Rechtsanwalt James Lewis, der die Vereinigten Staaten im Gerichtssaal vertrat, zweifelte das medizinische Gutachten an, das die Grundlage für die Entscheidung des Bezirksgerichts war, wonach Assange nicht ausgeliefert werden könne.

Die Richterin hatte im Januar erklärt, dass ein "bedrückendes Suizidrisiko" bestehe. US-Anwalt Lewis ist hingegen der Meinung, dass die Richterin von dem Experten, der das Gutachten erstellt hat, getäuscht worden sei. Dieser habe nämlich nicht erwähnt, dass Assange während seiner Zuflucht in der ecuadorianischen Botschaft in London zwei Kinder gezeugt habe, was die Suizidgefahr womöglich verringern könnte.

Assanges Anwälte wiederum erklärten, dass der Gutachter dies nicht thematisiert habe, um die Familie des Wikileaks-Gründers zu schützen. Außerdem sei die Zusicherung der USA, im Fall einer Auslieferung keine "Spezialmethoden" in einem Hochsicherheitsgefängnis anzuwenden, "vage" und "bedeutungslos".

Das gelte auch für das US-Angebot, dass Assange eine mögliche Haftstrafe in seiner Heimat Australien absitzen dürfe. Assanges Anwalt Edward Fitzgerald wies darauf hin, dass im Fall einer Auslieferung vor allem eines wegfallen würde: die Unterstützung seiner Familie, die ihn regelmäßig im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh besucht. Sollte Assange in die USA überstellt werden, würde er eine noch extremere Form der Isolation erfahren - das sei eine weitere Gefahr für seine Gesundheit.

Die CIA soll über einen Anschlag auf Assange nachgedacht haben

Fitzgerald brachte in dieser Woche auch die jüngsten Enthüllungen investigativer Journalisten vor Gericht ein. Unter Berufung auf nicht genannte US-Quellen berichteten sie, dass die CIA Anschlagspläne auf Assange geschmiedet habe, während dieser sich noch in der ecuadorianischen Botschaft aufgehalten habe. "Es wurde darüber geredet, Herrn Assange zu töten, zu entführen oder zu vergiften", sagte Fitzgerald am Donnerstag. Es gebe deshalb viele Befürchtungen, was mit ihm im Fall einer Auslieferung in die USA geschehen könnte.

Assange selbst war an den beiden Verhandlungstagen nicht im Gerichtssaal. Er war lediglich am Mittwoch per Video zugeschaltet. Am Donnerstag erklärte sein Anwalt, dass sein Mandant sich nicht in der Lage fühle, das Geschehen weiter zu verfolgen. Stella Moris, Assanges Verlobte, die das Berufungsverfahren im Gericht beobachtete, beschrieb seinen Gesundheitszustand als "sehr schlecht" und "besorgniserregend".

Der Lord Chief Justice sagte zum Abschluss der zweitägigen Anhörung, dass es nun "viel zu bedenken" gebe - und es "einige Zeit" dauern werde, eine Entscheidung zu treffen.

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