Süddeutsche Zeitung

Wahl in Ecuador:Assanges Schicksal liegt in den Händen der Ecuadorianer

Lesezeit: 3 min

Von Benedikt Peters

Wenn die Ecuadorianer am Sonntag an die Urnen gehen, wird ein Mann im noblen Londoner Stadtteil Knightsbridge ganz genau hinschauen. Zwischen Luxusgeschäften und anderen Repräsentativbauten liegt dort die Botschaft Ecuadors. Das Gebäude mit den roten Ziegelsteinen ist seit viereinhalb Jahren das Zuhause Julian Assanges, gezwungenermaßen. Assange lebt in einem der vier Büroräume im ersten Stock. Er soll das Gebäude nicht verlassen haben, seitdem er sich im Juni 2012 hierhin flüchtete, kein einziges Mal. Gelegentlich tritt er ans Fenster oder auf den Balkon, die Kameras zeigen dann einen bleichen, ernst blickenden Mann.

Die schwedische Justiz wirft ihm unter anderem Vergewaltigung vor, doch Assange sagt, das sei ein Vorwand. Weil er als Chef der Enthüllungsplattform Wikileaks zahlreiche sensible Dokumente enthüllte, fürchtet er seine Auslieferung in die USA. Die ecuadorianische Regierung unter Rafael Correa gewährte ihm Asyl. Correa betreibt eine linksgerichtete Politik und ist nicht unbedingt als Freund Washingtons bekannt.

Doch bei der Präsidentenwahl, die an diesem Sonntag beginnt, darf Correa nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten. Als seinen Kandidaten schickt er den früheren Vizepräsidenten ins Rennen, Lenín Moreno. Dieser will Correas Politik fortsetzen, Assange hätte zunächst wohl nichts zu befürchten, sollte Moreno gewählt werden. Dessen konservativer Herausforderer aber, Guillermo Lasso, hat dem Whistleblower ein Ultimatum gestellt. Wenn er Präsident werde, habe Assange nach seinem Amtsantritt 30 Tage Zeit, um die Londoner Botschaft zu verlassen. So sagte es Lasso kürzlich dem britischen Guardian.

So weit ist es freilich noch nicht. Der linke Kandidat Moreno liegt in Umfragen klar vorn, bei Werten um die 30 Prozent, Lasso kommt auf etwa zwanzig. Andererseits war zuletzt ja auf Umfragen nicht viel Verlass, nicht beim Brexit und bei der US-Präsidentenwahl und auch nicht bei Abstimmungen in Lateinamerika. In Peru sagten die Demoskopen zum Beispiel einen klaren Sieg der Diktatorentochter Keiko Fujimori voraus. Beim Referendum über den historischen Friedensvertrag von Kolumbien waren sich die Institute sicher, die Bevölkerung werde "Ja" sagen. Beides kam anders.

In der Botschaft soll es zu Reibereien gekommen sein

Aber selbst wenn die Demoskopen dieses Mal recht behalten und Moreno bei der Wahl am Sonntag siegt, ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Verfehlt er die Marke von 40 Prozent, wonach es derzeit aussieht, so wird eine Stichwahl darüber entscheiden, wer in den Palacio de Carondelet einziehen darf, den Präsidentenpalast in der Hauptstadt Quito. Am 2. April soll sie stattfinden. Spätestens dann könnte es für Moreno eng werden. Die Drittplatzierte in den Umfragen ist Cynthia Viteri, sie liegt den Umfragen zufolge nur knapp hinter Lasso. Sollte es zur Stichwahl kommen, könnten sich die beiden gegen Moreno verbünden. Der Wahlsieg würde dann in greifbare Nähe rücken - und damit auch das Ende von Assanges Asyl.

Wenig hilfreich ist für Moreno auch, dass sein Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten, Jorge Glas, im Zuge des Odebrechtsskandals verdächtigt wird, Schmiergeld angenommen zu haben. Die Korruptionsaffäre gigantischen Ausmaßes erschüttert derzeit ganz Lateinamerika.

Assange selbst hätte ja im Prinzip nichts dagegen, wenn er die Botschaft bald verlassen könnte. Im Gegenteil. In der Vergangenheit klagte er darüber, dass der Aufenthalt in dem Gebäude, das nicht einmal einen Garten hat oder einen Hinterhof, einer Haft gleichkomme. Im November wurde Assange intensiv von einem schwedischen Staatsanwalt befragt. Im Januar, nach Barack Obamas Begnadigung der Whistleblowerin Chelsea Manning, teilte Assange mit, er sei bereit, sich einem Gerichtsverfahren in den USA zu stellen, wenn dort seine Rechte respektiert würden.

Der ecuadorianische Außenminister Guillaume Long hat mehrfach betont, dass der Aufenthalt Assanges in der Londoner Botschaft eine große Belastung ist, für den Whistleblower selbst wie für die Mitarbeiter. Das Gebäude wird von britischen Polizisten, Geheimdienstlern und Journalisten belagert. Assange bezeichnet das Verhältnis zu den Botschaftsmitarbeitern als "familiär", es soll aber auch schon zu Reibereien gekommen sein.

Im US-Präsidentschaftswahlkampf, als Wikileaks sensible E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampfmanager veröffentlichte, stellten die ecuadorianischen Diplomaten Assange das Internet ab. Außenminister Long erklärte den Schritt so: "Wir wollten sicherstellen, dass von unserem souveränen Staatsgebiet aus nichts unternommen wird, um sich in die Wahl eines anderen Staatsgebietes einzumischen."

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