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Von der Leyen:"Wer Europa schwächen will, findet in mir eine erbitterte Gegnerin"

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In einer kämpferischen Rede im Europaparlament hat Ursula von der Leyen für sich als EU-Kommissionspräsidentin geworben. Ihre wichtigsten Anliegen auf einen Blick.

Von Markus C. Schulte von Drach

Die noch amtierende Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat eine engagierte und eindringliche Rede gehalten, mit der sie sich vor der Abstimmung am Dienstagabend dem Europaparlament als Präsidentin der Europäischen Kommission empfehlen will. Sie möchte zum 1. November die Nachfolge von Jean-Claude Juncker aus Luxemburg antreten.

Anfänglich in französischer, dann auch in deutscher und englischer Sprache hat sie dargelegt, welche Vorstellung sie von Europa hat, wie sie sich ihre Rolle als Präsidentin vorstellt und welche politischen Pläne sie hat.

Heimat Europa

Sie sei stolz, begann sie ihre Rede, sagen zu können, dass mit ihr erstmals eine Frau für das Amt der Präsidentin der Europäischen Kommission kandidiere, um dann die Bedeutung der Europäischen Union zu betonen: Ein gewaltiges Werk hätten die Gründungsväter und -mütter aus den Trümmern und der Asche des Zweiten Weltkriegs errichtet, ein Europa, in dem die Menschen in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben könnten.

"Meine Kinder können sich ein Leben ohne das Heimatgefühl Europa gar nicht mehr vorstellen", sagte von der Leyen, um dann darauf hinzuweisen, dass heute allerdings auch dem Letzten klar sein müsse, "dass wir wieder aufstehen müssen, dass wir wieder kämpfen müssen für dieses Europa".

Grüner Deal

Vor einer ganzen Reihe von Problemen stehe Europa, von der Digitalisierung bis zur Entstehung zunehmend autoritärer Regime. Doch an erster Stelle kam die Noch-Verteidigungsministerin Deutschlands konkret auf den Klimawandel zu sprechen, dessen Auswirkungen - "das ist neu" - Europa bereits konkret spüre.

Die größte Herausforderung sei, unseren Planeten gesund zu halten. "Ich möchte, dass Europa der erste klimaneutrale Kontinent wird." Dafür seien mutige Schritte erforderlich. Dazu gehören für sie eine Klimaförderbank, hohe Investitionen und ein europäisches Klimagesetz, das dafür sorgen soll, dass bereits bis 2030 der Kohlendioxidausstoß nicht nur um 40, sondern um mindestens 50 Prozent im Vergleich zu 1990 gesenkt wird. Bereits in den ersten 100 Tagen im Amt wolle sie einen "Grünen Deal" für Europa angehen.

"Wir alle müssen Änderungen vornehmen darin, wie wir leben", forderte von der Leyen. Und Emissionen müssten einen Preis haben, damit sich tatsächlich etwas ändere. Deshalb wolle sie eine CO₂-Abgabe einführen. Denn: "Was gut ist für unseren Planeten, wird auch gut sein für Menschen und Regionen."

Starke Wirtschaft, die sozial bleibt

Doch wenn Europa erfolgreich sein wolle, dann brauche man auch eine starke Wirtschaft. Denn was man ausgeben will, müsse man schließlich erst verdienen. Aus diesem Grund wolle sie auch das Rückgrat der Wirtschaft stärken, die kleinen und mittleren Unternehmen. Barrieren müssten abgeschafft, Türen geöffnet werden, mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt weiter gearbeitet werden. "Wo Reformen benötigt werden, müssen wir sicherstellen, dass sie angegangen werden."

Alles jedoch nach der Logik: "Nicht die Menschen dienen der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft dient den Menschen." Hier betonte von der Leyen das "soziale" an der sozialen Marktwirtschaft, die Bedeutung nachhaltiger Entwicklungsziele - und die Besteuerung der großen Internetkonzerne. Denn diese profitierten von den Errungenschaften der Europäer, würden hier aber kaum Steuern zahlen. Wer aber die Vorteile in Anspruch nehme, müsste auch an den Lasten beteiligt werden.

Europaweiter Mindestlohn

Auch für Mindestlöhne in ganz Europa setzte sich von der Leyen ein: "Jede Person, die Vollzeit arbeitet, soll einen Mindestlohn erhalten, von dem man auch leben kann." Und zwar würdevoll. Zugleich forderte sie eine europäische Arbeitslosenrückversicherung.

Für die jungen Menschen, die je nach Land unter einer Arbeitslosigkeit von fünf bis 40 Prozent leiden würden, wünschte sie sich mehr Fairness. Und: "Wir müssen uns kümmern um die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft, die Kinder." So sei es dringend erforderlich, die Armut zu bekämpfen und dem Nachwuchs Zugang zu Bildung und Sport und ein gesundes Umfeld zu gewährleisten.

Mehr Kommissarinnen

Für ihr eigenes Team versprach sie eine ausgewogene Geschlechterverteilung, und wenn die Länder nicht genug Kommissarinnen vorschlagen würden, werde sie nicht zögern, neue Namen vorzuschlagen. Denn von allen Kommissaren, die es bislang gab, waren weniger als 20 Prozent Frauen.

Auch über Gewalt gegen Frauen müsse offen gesprochen werden, forderte von der Leyen und verwies auf die Häufigkeit, mit der diese durch physische oder sexuelle Gewalt bedroht seien.

Rechtsstaatlichkeit

Mit dem Hinweis auf die griechische Philosophie und das römische Recht als Wiege der europäischen Zivilisation richtete sich die 60-Jährige gegen jede Form von Diktatur. Jahrhundertelang hätten die Europäer für ihre Freiheit und Unabhängigkeit gekämpft - deshalb dürfe es, wo es um Rechtstaatlichkeit gehe, keine Kompromisse geben. Die EU-Kommission müsse bestehende und künftige Instrumente zur Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit konsequent nutzen. "Wer Europa spalten und schwächen will, findet in mir eine erbitterte Gegnerin", warnte die CDU-Politikerin.

Asylrecht

Anschließend forderte von der Leyen, die Würde jedes menschlichen Wesens zu achten - auch an den Grenzen Europas. Diese müssten human sein, Menschen dort müssten gerettet, das Asylrecht bewahrt werden. "Auf See gibt es die Pflicht, menschliches Leben zu retten", sagte sie. Doch die Migration müsse auch reduziert, Schleuser und Menschenhändler bekämpft werden. Eine Möglichkeit, die die Politikerin hier nutzen will, sind humanitäre Korridore, die gemeinsam mit dem UNHCR geschaffen werden müssten.

Innerhalb der EU bräuchte es eine Reform des Asylrechts, einen neuen "Pakt für Migration und Asyl", der ermögliche, die Freizügigkeit des Schengenraumes wieder zu gewährleisten. Eine Aufstockung der EU-Grenzschutztruppe auf 10 000 Grenzschützer müsse bereits bis 2024 abgeschlossen werden, nicht erst 2027. Vor allem aber sei eine gerechte, faire Lastenteilung unter den EU-Mitgliedstaaten notwendig. "Wir brauchen Mitgefühl und entschlossenes Handeln", so von der Leyen.

Brexit

"Ich kann nicht von Europa sprechen, ohne über Großbritannien zu sprechen", fuhr sie fort, und bedauerte, dass 2016 erstmals ein Mitgliedland beschlossen habe, die EU zu verlassen. Sie wolle das aber respektieren und sei bereit, das Austrittsdatum noch einmal zu vertagen, wenn das aus guten Gründen nötig sei, erklärte sie unter dem Applaus eines Teils der Parlamentarier. "Auf jeden Fall wird das Vereinigte Königreich unser Verbündeter, unser Partner und unser Freund bleiben."

Gegen Ende ihrer Rede kündigte von der Leyen an, sich für eine Verbesserung des Spitzenkandidatensystems und ein Initiativrecht des Europäischen Parlaments einzusetzen. Noch einmal erinnerte sie schließlich daran, dass sie selbst in Brüssel geboren sei, und bereits ihr Vater sich in der europäischen Politik engagiert habe. Dieser habe ihr viel von Europa erzählt, und gegen Ende seines Lebens die Erkenntnis gewonnen: "Europa ist wie eine lange Ehe. Die Liebe wird vielleicht nicht größer als am ersten Tag. Aber sie wird tiefer. Weil wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können, in guten wie in schlechten Tagen."

Ihre Rede beendete von der Leyen mit dem Ruf in drei Sprachen: "Es lebe Europa! Vive l'Europe! Long live Europe!"

Die ganze Rede können Sie hier nachlesen.

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