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Verstoß gegen EU-Standards:Brüssel verschärft Ton im Streit mit Polen

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Polen gerät in der Europäischen Union weiter ins Abseits. Die EU-Kommission rügte am Mittwoch erneut das Vorgehen der rechtskonservativen Regierung in Warschau gegen das Verfassungsgericht des Landes.

EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans machte eine schriftliche Stellungnahme der Kommission bekannt, in der Polen Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit bescheinigt werden. "Wir sind noch nicht in der Lage gewesen, in den wichtigsten Punkten eine Lösung zu finden", sagte Timmermans. Er war zuletzt zweimal nach Warschau gereist, um eine Annäherung auszuloten.

Die Stellungnahme ist der nächste Schritt eines im Januar eingeleiteten EU-Verfahren. Schon Mitte Mai hatte die Kommission einen solchen Schritt angedroht, falls Warschau nicht rasch und zufriedenstellend reagiere. Am Ende des womöglich über Jahre dauernden Verfahrens könnte der Entzug der Stimmrechte Polens im EU-Rat stehen.

Erste Reaktion aus Polen

Der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro warf der EU-Kommission eine einseitige Haltung vor. Er sei überrascht und traurig über die Mitteilung aus Brüssel, sagte Ziobro. "Herr Timmermans und seine nächsten Mitarbeiter wissen genau, dass die Regierung große Elastizität und Willen zur Suche nach einem Kompromiss gezeigt hat", sagte er.

Er warf der Opposition, aber auch dem Verfassungsgericht vor, einen Kompromiss verweigert zu haben. Nun müsse die schriftliche Stellungnahme aus Brüssel abgewartet werden: "Zu einem Kompromiss braucht es zwei Seiten."

Was die EU Polens Regierung vorwirft

Die EU-Kommission bezweifelt, dass die polnische Regierung bei der Reform des Verfassungsgerichts die EU-Prinzipien der Rechtstaatlichkeit eingehalten hat. Sie wirft ihr vor, das Verfassungstribunal mit einer umstrittenen Reform als Kontrollinstanz praktisch lahm zu legen und damit gegen europäische Standards zu verstoßen. Polen weist dies als Einmischung aus Brüssel zurück. Monatelang wurde verhandelt - offenbar ohne Annäherung.

Die konservative Partei Recht und Gerechtigkeit PiS hatte mit ihrer Regierungsmehrheit im Dezember das umstrittene Reformgesetz verabschiedet. Demnach dürfen die Richter Entscheidungen nur noch mit Zweidrittelmehrheit treffen. Die Fälle müssen in der Reihenfolge ihrer Einreichung abgearbeitet werden, es wird eine Befassung durch 13 der 15 Richter verlangt.

Kritiker beklagten schon damals, dass das Gericht damit kaum noch entscheidungsfähig ist. Es gab wiederholt Demonstrationen gegen die Regierung. Das Gericht selbst erklärte im März die Reform für verfassungswidrig, was die Regierung aber nicht anerkennt.

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