Süddeutsche Zeitung

Verkehrspolitik:Vor der Systemfrage

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17 Stunden berät die Klimakommission - für ein paar kümmerliche Kompromisse. Doch es reicht nicht, Bahn und E-Auto zu fördern. Es braucht ein neues Verständnis von Mobilität.

Von Markus Balser

Wie sich Planlosigkeit in der Verkehrspolitik messen lässt? Eine einzige Zahl spricht Bände: 17 Stunden lang suchte die Kommission für mehr Klimaschutz im Verkehr zu Wochenbeginn nach einem Kompromiss - vergeblich. In der Nacht zum Dienstag scheiterten die 20 Fachleute daran, die Klimaziele der Bundesregierung für 2030 endlich mit Leben zu füllen.

Für den Klimaschutz in Deutschland ist das ein herber Rückschlag. Mehr Elektroautos, mehr regenerative Kraftstoffe, billigere Bahntickets: dieser so mühsam gefundene Minimalkonsens reicht bei Weitem nicht aus. Bestenfalls die Hälfte der nötigen CO₂-Emissionen lässt sich so bis Ende der nächsten Dekade einsparen. Die Hauptverantwortung für das Scheitern tragen allerdings nicht die Fachleute. Schuld ist die Bundesregierung selbst. Mit Denkverboten und Druck auf die Experten verhinderte Verkehrsminister Andreas Scheuer gemeinsam mit der Autoindustrie, dass die Klimakommission konkreter wurde.

Dabei drängt die Zeit. Der Verkehr gehört schon zu lange zu den großen Klimasündern in Deutschland. Er trägt maßgeblich dazu bei, dass Deutschland seine Vorgaben aus dem Abkommen von Paris bislang verfehlt. Die Emissionen nahmen zuletzt sogar wieder zu statt ab.

Autos und Lkws nutzen fossile Energien zwar immer effizienter. Doch insgesamt ist mehr Verkehr unterwegs, und die Autos werden immer größer. So droht es auch zu bleiben. Die Kommission strich das gesamte Kapitel mit Instrumenten für mehr Klimaschutz aus dem Bericht: Vorschläge wie Preisaufschläge für spritfressende Autos wurden aus dem offiziellen Papier gekippt; Pläne für einen CO₂-Preis, der etwa Benzin und Diesel verteuern würde, schrumpften zum Prüfauftrag für die Bundesregierung. Das Scheitern legt die Defizite in der Verkehrspolitik schonungslos frei. Wie schon bei der Energiewende fehlt dem beginnenden Umbau der Mobilität der große politische Plan. Mit der Förderung von Elektroautos ist es so wenig getan wie mit der Förderung von grünen Kraftstoffen. Nötig ist ein neues Gesamtkonzept für die Mobilität im Land. Der Verkehr in den Städten kommt nur dann nicht zum Erliegen, wenn der Individualverkehr künftig besser mit dem öffentlichen Nah- und Fernverkehr verzahnt wird. Das Klima wird nur geschützt, wenn neue Mobilitätskonzepte Realität werden, es deutlich mehr Radwege gibt, die Bahn endlich besser wird. Das Ziel des Umbaus darf nicht nur heißen: Es gibt andere Autos. Es muss vor allem heißen: Es gibt weniger Autos.

Der Wandel hin zu einem klimafreundlichen Verkehr bedeutet viel mehr als den Wechsel des Betriebssystems vom Benzin hin zur Batterie. Er geht weit über billigere Bahntickets und bessere Zugverbindungen hinaus. Er wird die Städte binnen zweier Dekaden durch einen geräusch- und abgasarmen Verkehr verändern. Er wird das Verhalten der Menschen mit neuen Formen des Individualverkehrs prägen. Und er wird der Wirtschaft ganz neue Angebote abverlangen. Die Mobilität steht vor einer Revolution, die allenfalls vergleichbar ist mit jener Zeit Ende des 19. Jahrhunderts, als Autos wie der Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 begannen, die Fuhrwerke abzulösen. Wie schon bei der Energiewende wächst der Druck, den kompletten Systemwechsel zu wagen. Mehr als eine Milliarde Autos rollen bereits über den Globus, gut 40 Millionen allein in Deutschland. Sie verstopfen Straßen und vernichten Rohstoffe. Sie verändern das Klima und bürden Städten mit Abgasen und Feinstaub gewaltige Probleme auf. Die Aufgabe, das zu ändern und den Verkehr auf deutschen Straßen klimafreundlicher zu gestalten, ist riesig und schwer zu lösen. Weil an ihr auch die Zukunft der größten Industrie des Landes mit 800 000 Arbeitsplätzen hängt, zählt sie derzeit zu den kompliziertesten politischen Aufgaben. Doch die Folgen der Klimakrise sind vielerorts längst spürbar. Die Dürre des vergangenen Sommers war nur eine von vielen.

Die Politik muss handeln. Und sie muss schnelle Antworten auf drängende Fragen geben: Welches Straßennetz brauchen wir in Zukunft? Wie kann der Nahverkehr attraktiver werden? Soll der Schienenverkehr vorrangiges Ziel bleiben, wenn Autos fast genauso umweltfreundlich sind? Und wie lassen sich die sozialen Folgen abfedern, wenn bestimmte Arten der Mobilität teurer werden?

Doch der große Wurf ist nicht in Sicht. Straßenplanung, Nahverkehr, Elektroauto-Infrastruktur - all das liegt nur selten in einer Hand. Dabei macht zum Beispiel London vor, wie es besser gehen kann. Die Stadtbehörde Transport of London ist dort für Straßen, U-Bahnen, selbst für das Eintreiben der City-Maut verantwortlich. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft brauchen nun vor allem ein solches neues gemeinsames Denken. Nötig ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel: vom auto- zum menschen- und umweltgerechten Verkehrssystem.

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Quelle:
SZ vom 27.03.2019
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