Süddeutsche Zeitung

Verfassungsgericht:Kommunaler Ungehorsam

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Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es kommt schon mal vor, dass sich staatliche Institutionen nicht an Entscheidungen des eigenen Verfassungsgerichts halten. In der Türkei zum Beispiel. Dort verweigerte jüngst ein unteres Gericht die vom Verfassungsgericht angeordnete Freilassung zweier Journalisten.

In Deutschland kannte man das bisher nicht, jedenfalls bis vergangenen Samstag. An diesem Tag sollte in der Stadthalle Wetzlar eine Wahlkampfveranstaltung der NPD stattfinden, aber die Stadt verweigerte der Extremistenpartei den Zutritt - obwohl das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe per Eilbeschluss angeordnet hatte, dass die Veranstaltung stattfinden dürfe.

Die Renitenz der mittelhessischen Kommune hat nun ein juristisches Nachspiel. Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, hat das Regierungspräsidium Gießen als Kommunalaufsichtsbehörde aufgefordert, den Vorfall aufzuklären und die "notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen - denn Karlsruhe selbst hat keine Sanktionsmöglichkeiten. Der Regierungspräsident könnte zum Beispiel eine Beanstandung aussprechen oder die Kommune anweisen, sich künftig an Urteile zu halten. Die Behörde prüft den Vorgang, wie ein Sprecher bestätigte.

Teuer wird die Sache für Wetzlar aber wohl nicht

Dabei hatte der Oberbürgermeister der Kommune, Manfred Wagner (SPD), am Wochenende noch versichert, man halte sich natürlich an richterliche Vorgaben - nur habe die NPD eben die Mietbedingungen nicht erfüllt. Dabei ging es um die angeblich fehlenden Nachweise für Versicherungsschutz und Sanitätsdienst.

Wie aus der nun veröffentlichen Begründung des Karlsruher Eilbeschlusses zu ersehen ist, gaben diese Einwände der Kommune aber keinerlei Befugnis, der NPD die Halle zu verweigern. Denn der Streit hatte ein Vorspiel beim Verwaltungsgericht Gießen und beim Verwaltungsgerichtshof Kassel. Die Gerichte haben grünes Licht für die Veranstaltung gegeben, es wurde sogar ein Zwangsgeld von 7500 Euro verhängt sowie ein weiteres von 10 000 Euro angedroht. Die NPD erfüllte also offenkundig die Mietbedingungen.

Laut Verfassungsgericht sind die nachgeschobenen Einwände der Stadt also entweder bereits als unbeachtlich verworfen worden - oder sie wurden verspätet vorgebracht und liefern damit keinen triftigen Grund, eine höchstrichterliche Entscheidung zu unterlaufen. Der Verweis auf fehlende Formalien war, mit anderen Worten, also offenbar der Versuch des Oberbürgermeisters, sich vor den eigenen Bürgern als aufrechter NPD-Gegner darzustellen.

Wie Kirchhofs Brief zeigt, sehen die Karlsruher Richter den kommunalen Rechtsungehorsam nicht als Lappalie an. Vermutlich, weil es Schule machen könnte, auf Kosten des Gerichts populäre politische Entscheidungen zu fällen. Teuer wird die Sache für Wetzlar aber wohl nicht: Man wird das festgesetzte, vielleicht auch das angedrohte Zwangsgeld zahlen müssen. Macht 17 500 Euro.

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Quelle:
SZ vom 28.03.2018
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