Süddeutsche Zeitung

Staatskrise:Nichts als Düsternis in Venezuela

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Von Benedikt Peters

Um 6 Uhr und 38 Minuten ging am Samstag über Caracas die Sonne auf. Vielleicht hat der eine oder andere Bewohner der venezolanischen Hauptstadt erleichtert aus dem Fenster geblickt, da mit der Sonne die Gewissheit kam: Für die nächsten Stunden gibt es wenigstens Licht.

In Venezuela ist in diesen Tagen eigentlich nichts mehr sicher; auf den Straßen treiben kriminelle Banden ihr Unwesen, in den Geschäften sind Lebensmittel und Medikamente knapp, und zwei Politiker streiten sich, wer dieses Land, das längst im Chaos versunken ist, denn nun eigentlich regiert.

Am Donnerstag und Freitag blieb dann auch noch der Strom weg. Es war zwar bei weitem nicht der erste Stromausfall, neulich erst ging im Präsidentenpalast Miraflores das Licht aus, just als Staatschef Nicolás Maduro mal wieder eine Fernsehansprache hielt und gegen die Aggressoren aus Washington wetterte. In seiner Länge aber war der apagón beispiellos, zumindest aus der Sicht einiger Zeitungen. Sie schrieben angesichts einer Dauer von mehr als 20 Stunden vom "längsten Stromausfall in der jüngeren venezolanischen Geschichte".

Der Stromausfall samt seiner Folgen steht sinnbildlich für die aktuelle Lage in Venezuela, und das nicht einmal, weil er das seit Jahren herrschende Chaos noch einmal kurzzeitig verschlimmerte. Operationen in den Krankenhäusern mussten unterbrochen oder verschoben werden, weil vielerorts die Notstromaggregate nicht funktionierten.

In der Frauenklinik "Hugo Chávez" im Norden von Caracas etwa wurden schwangere Frauen weggeschickt, die per Kaiserschnitt entbinden wollten, und CNN verbreitete ein Video, in dem ein Neugeborenes behelfsmäßig per Hand beatmet wurde. Zudem dürften nicht wenige der ohnehin schon knappen Lebensmittel verdorben sein.

Maduro nennt US-Politiker "vulgäre Taschendiebe"

Sinnbildlich ist der Stromausfall vor allem, weil sich der angeschlagene Staatschef Nicolás Maduro und sein Herausforderer Juan Guaidó alsbald daran machten, das Leiden der Venezolaner für ihre politischen Zwecke zu nutzen. Guaidó twitterte, kurz nachdem es im Land dunkel geworden war: "Venezuela weiß: Das Licht kehrt zurück, wenn der Thronraub beendet ist." Seit er sich im Januar zum Interimspräsidenten ernannt hat, bezeichnet er Maduro als Thronräuber.

Maduro wiederum schickte seinen Informationsminister Jorge Rodriguez ins Staatsfernsehen, um seine Version der Dinge zu verbreiten. Demnach habe eine Cyberattacke der USA auf ein Wasserkraftwerk den Stromausfall herbeigeführt, hinter der nicht nur US-Präsident Trump, sondern auch der kubanischstämmige republikanische Abgeordnete Marco Rubio stecke. "Wie vulgäre Taschendiebe" hätten sie die Venezolaner bestohlen, schimpfte Rodriguez. "Es gibt keinen Zweifel, dass das die brutalste Aggression gegen das venezolanische Volk in 200 Jahren seit dem Unabhängigkeitskrieg ist."

Diese Version ist nicht gerade wahrscheinlich, auch wenn sie gut in Maduros Weltbild passt und Trump und Rubio, der den US-Präsidenten zu Venezuela berät, den Machthaber von Caracas lieber heute als morgen absägen würden. In dem Wasserkraftwerk am Guri-Stausee in der Provinz Bolívar, das 80 Prozent des landesweiten Strombedarfs decken soll, hat es in der Vergangenheit immer wieder kleinere Pannen gegeben.

Der Wirtschaftsprofessor Leonardo Vera sagte der spanischen Zeitung El País, zuletzt seien nur elf der zwanzig Turbinen in Betrieb gewesen. Vor etwa zwei Wochen warnten Mitarbeiter der staatlichen Energiegesellschaft Corpoelec, dass sich das gesamte nationale System in einem desolaten Zustand befände und die Mittel für Wartungsarbeiten fehlten. Die Mitarbeiter, die ihre Unterstützung für Juan Guaidó verkündeten, machten dafür Korruption der Maduro-Regierung verantwortlich.

An diesem Samstag will der selbsternannte Heilsbringer Guaidó nun einen neuen Anlauf unternehmen, um Maduro aus dem Amt zu drängen. In Caracas soll wieder eine große Demonstration stattfinden. Guaidó rief die Venezolaner dazu auf, mit "so viel Kraft wie noch nie" auf die Straße zu gehen. Am Morgen waren einige Menschen zu sehen, die sich mit Fahnen und Transparenten auf den Weg machten.

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