Süddeutsche Zeitung

Tod westlicher Geiseln durch Angriff auf al-Qaida:Debatte über Drohnenkrieg erreicht USA

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Von Nicolas Richter, Washington

Drohnen sehen angeblich noch besser als Eulen. Sie sehen aus der Ferne, im Regen, im Nebel. Bei Nacht spähen sie mit ihrer Wärmebildkamera. Ihre Hersteller versichern, dass Drohnen zwei Leistungen vollbringen, die Menschen von Natur aus verwehrt sind: Sie fliegen und sie sehen alles. Und doch sind Drohnen zuweilen blind, manchmal auf mehr als nur einem Auge der Kamera.

Anfang des Jahres hat eine US-Drohne auf ein Ziel in Pakistan gefeuert, es lag im Stammesgebiet an der Grenze zu Afghanistan und diente mutmaßlich der Organisation al-Qaida als Versteck. Wochenlang hatte der Geheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) das Anwesen beobachtet, und als er sich für den Angriff entschied, war er sich sicher, dass dort genau vier Menschen ein- und ausgingen, alle Terrorverdächtige. Wie spätere Drohnenbilder aber zeigten, zogen Anwohner dann sechs Leichen aus den Trümmern.

Die Glasaugen der CIA hatten nicht erkennen können, dass die Verdächtigen zwei weitere Männer versteckt hatten. Sie waren Entwicklungshelfer und hatten mit al-Qaida nur insoweit etwas zu tun, als sie deren Geiseln waren: der Italiener Giovanni Lo Porto, 39, und Warren Weinstein, 73, ein Bürger aus dem Land der Angreifer: ein Amerikaner. Am Ende waren sie beide tot.

Hier liegt der Unterschied zwischen der Drohne und der Eule: Die Eule stürzt sich auf genau eine Beute. Die Drohne feuert drauflos, sie kann nicht berechnen, wen oder wie viele genau sie trifft.

Der Fall öffnet der amerikanischen Öffentlichkeit die Augen

In dieser Woche hat US-Präsident Barack Obama zugegeben, dass seinen Terroristenjägern ein furchtbarer Fehler unterlaufen ist. Er wirkte zerknirscht. Er beschönigte nichts, er bedauerte, er übernahm die Verantwortung. Und er sprach, im übertragenen Sinne, über Blindheit. "Es ist eine grausame und bittere Wahrheit, dass Fehler - manchmal tödliche Fehler - passieren können, allgemein im Nebel des Krieges und besonders in unserem Kampf gegen Terroristen", sagte Obama. Allerdings hätte sich in diesem Fall ein besseres Sprachbild angeboten: Eigentlich hätte Obama statt des Kriegsnebels die trüben Augen seiner Drohnen und Agenten erwähnen müssen.

Trauer in Rockville, USA: Hier lebte Warren Weinstein, der bei dem Drohnenangriff in Pakistan starb.

Trauer in Pakistan: Ein riesiges Plakat zeigt ein Mädchen, das bei einer US-Antiterroroperation getötet wurde.

Immerhin öffnet der Fall nun der amerikanischen Öffentlichkeit die Augen, die über Obamas Drohnenkrieg wenig weiß und vermutlich auch gar nicht so viel wissen will. Seit Jahren weisen private Organisationen nach, dass bei Drohnenschlägen mehr Zivilisten sterben als es die Regierung zugeben möchte. In den betroffenen Gebieten, an der afghanisch-pakistanischen Grenze, aber auch in Jemen und Somalia, haben die "chirurgisch" genannten Angriffe Hunderte Unschuldige getötet.

Die Amerikaner aber blicken allenfalls dann näher hin, wenn Amerikaner selber sterben oder in Gefahr geraten. Als der libertäre Senator Rand Paul vor zwei Jahren eine 13-stündige Rede gegen den Drohnenkrieg hielt, warnte er davor, "dass Amerikaner getötet werden könnten in einem Café in San Francisco". Für Aufsehen sorgte auch der tödliche Angriff gegen den US- Terrorverdächtigen Anwar al-Awlaki.

Anders als Awlaki aber ist Warren Weinstein ein Opfer, mit dem sich die Amerikaner identifizieren, von dem sie sich ein Bild machen können. Sein Haus mit dem gepflegten Rasen liegt in Rockville, einem Vorort Washingtons. Weinstein hat es ein Leben lang in die Welt gezogen, er wollte verstehen und helfen. 2011 wurde er in Lahore entführt, seitdem hielten ihn örtliche Extremisten als Geisel. Für seine Arbeit in Pakistan hatte er sogar die örtliche Sprache gelernt. "Er tat alles, um seinen Respekt für diese Weltgegend zu zeigen", sagte seine Witwe Elaine.

Nun ist Weinstein mit seinem gutmütigen Lächeln das Gesicht der Opfer, deren Gesichter man sonst kaum jemals sieht. Für die Außendarstellung der CIA ist der Tod Weinsteins verheerend. Aber die rasche Entschuldigung Obamas offenbart auch, wie wenig sich das Land sonst mit den Toten beschäftigt. "Weinstein und Lo Porto sind nicht die ersten Unschuldigen, die wegen unserer Drohnen sterben, nie zuvor aber hat sich die US-Regierung entschuldigt", kritisierte die Organisation Reprieve US, die etliche Opfer vertritt. "Die Welt empfindet das als verlogen."

Die Taktik, Terroristen mit Drohnen zu jagen, ist Obamas Taktik

Das Bild Amerikas: Obama hat es ändern wollen, die USA sollten nicht mehr die weltweite Besatzungsmacht sein. Der Präsident hat die Soldaten aus Afghanistan und dem Irak abgezogen, die Kriege weitgehend beendet, aber er ist in einen neuen gezogen: Einen meist unsichtbaren Luftkrieg mit ferngesteuerten Fluggeräten. Intern soll er oft gesagt haben: "Lasst uns die Kerle töten, die uns töten wollen."

Die High-Tech-Schlacht entspricht dem Charakter Obamas, sie verkörpert die Abscheu vor militärischen Abenteuern, den strengen Blick auf Kosten und Nutzen, den Glauben an Daten und Technologie. Die Taktik, Terroristen mit Drohnen zu jagen, ist Obamas Taktik, er hat das Programm massiv ausgeweitet, er hat die Regeln dafür schreiben lassen, von John Brennan, seinem einstigen Vertrauten im Weißen Haus. Inzwischen ist Brennan Chef der CIA. Er war es, der Obama jetzt die schlechte Nachricht aus Pakistan überbrachte.

Ein wesentliches Merkmal der Taktik sind "signature strikes": Die CIA greift ihre Ziele nicht an, weil sich dort ein bestimmter Verdächtiger aufhält, sondern weil sich die Personen dort verdächtig verhalten. Ein solch allgemeiner Verdacht genügt für tödliche Angriffe. Offenbar fiel auch die missglückte Operation im Januar in diese Kategorie. Obamas Sprecher Josh Earnest zufolge legt dies nahe, dass etwas mit den Regeln nicht stimmen kann. "Grob gesagt: Obwohl alle Vorschriften eingehalten wurden, hat die Operation diese tragischen Folgen verursacht", sagte er. "Das wirft die Frage auf, ob wir diese Regeln ändern müssen." Außer dem Weißen Haus kündigte auch der Kongress eine Untersuchung an.

Handelt es sich um tragische, oder um fahrlässige Konsequenzen?

Offensichtlich ist, dass Agenten und die Drohnenpiloten an ihren Fernsteuerungen oft, vielleicht sogar meistens, blind auf den Abzug drücken. Wie die US-Regierung jetzt ebenfalls bekannt gab, sind bei Angriffen im Januar zwei weitere Amerikaner gestorben. Ahmed Farouq und Adam Gadahn sollen Anhänger al-Qaidas mit US-Pässen gewesen sein, doch offenbar waren sie zufällige Opfer: Die CIA wusste nicht, dass sie sich am Zielort aufhielten. Von den insgesamt acht Amerikanern, die seit 2002 im Drohnenfeuer gestorben sind, war nur ein einziger ein namentlich bekanntes Ziel.

Wenn die CIA aber nicht weiß, auf wen sie feuert, verstößt sie gegen die Regeln, die die Regierung selber aufgestellt hat: Demnach sind Angriffe nur zulässig, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Zivilisten töten. Im Falle Weinsteins war diese Einschätzung nicht korrekt", sagte Obamas Sprecher Earnest, "und die Operation führte zu diesen tragischen, ungewollten Konsequenzen". Ist dies aber eine tragische Konsequenz, oder eher eine fahrlässige, wenn man auf ein Haus feuert, ohne das Innere zu sehen?

Der Vorfall stellt den Drohnenkrieg nun sogar grundsätzlich infrage. "Wenn man einen höheren Beweisstandard verlangt", sagte der demokratische Abgeordnete und Geheimdienstaufseher Adam Schiff, "dann könnte es das Ende sein für diese Art von Anti-Terror-Operationen".

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SZ vom 25.04.2015
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