Süddeutsche Zeitung

US-Wahlkampf:Marco Rubio - der eigentliche Sieger von Iowa

Lesezeit: 4 Min.

Bei der ersten Vorwahl wird der gemäßigte Republikaner Dritter, das Ergebnis übertrifft alle Erwartungen. Er könnte Trump und Cruz gefährlich werden. Ein Porträt.

Von Nicolas Richter, Marshalltown

Morgens um neun steht Marco Rubio frisch gekämmt und gescheitelt vor den ersten Neugierigen im Wahlkampf, einen Pappbecher Kaffee in der Hand. In der Nacht hat Nordkorea etwas gezündet, das eine Wasserstoffbombe sein könnte. "Es ist nicht bewiesen, dass es eine Wasserstoffbombe ist, aber der Diktator hat bewiesen, dass er ein Irrer ist", sagt Rubio und verlangt, dass die USA ihre Asien-Flotte aufstocken. Laryssa Bonacquisti, eine junge Zuschauerin, die sich später für ein Erinnerungsfoto an Rubio schmiegt, ist beeindruckt: "Morgens um neun hat er schon einen Plan für Nordkorea", sagt sie. Andere Besucher loben Rubio als "professionell", "nachdenklich", "jung".

Im krawallreichen Wettbewerb um die Präsidentschaft gilt Rubio, 44, ein US-Senator aus Florida, als letzte Hoffnung gemäßigter Anführer der republikanischen Partei. Genährt wird die Hoffnung nun von dem Wahlergebnis der ersten Vorwahl in Iowa, bei der Rubio ein überraschend gutes Ergebnis einfuhr: 23 Prozent, nur einen Prozentpunkt hinter Donald Trump. Man traut ihm zu, im Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur die Populisten Donald Trump und Ted Cruz zu schlagen - und in der Hauptwahl die mutmaßliche demokratische Kandidatin Hillary Clinton.

Noch liegt Rubio in landesweiten Umfragen an dritter Stelle, aber seine Förderer halten ihn für den einzigen Mann mit mehrheitsfähigem Profil und realistischen Aussichten, sich im Frühjahr an die Spitze zu setzen. Mehrere einflussreiche Republikaner im US-Kongress haben seine Bewerbung unterstützt, was zwei Dinge verrät: Erstens die tiefe Abneigung der Parteielite gegenüber Trump und Cruz. Zweitens die Erkenntnis, dass Jeb Bush, der ursprüngliche Mann des "Establishments", wohl scheitern wird.

Teilweise übernimmt er die unerbittliche Linie Trumps

Rubios Stärke liegt in seiner Biografie: Sein Aufstieg als Sohn kubanischer Einwanderer verkörpert den amerikanischen Traum. Rubio wirkt wie der Kandidat, den die Republikaner entworfen hätten, wenn man Kandidaten am Reißbrett entwerfen könnte. Nach der Niederlage Mitt Romneys bei der Wahl 2012 erkannten die Parteioberen, dass sie ihre notorische Unbeliebtheit bei Amerikas Latinos überwinden und jünger, offener und optimistischer wirken mussten. Rubio schien all diese Vorgaben in sich zu vereinen.

Im Jahr 2013 einigte er sich mit den Demokraten auf den Entwurf einer Einwanderungsreform, er kam den Latinos entgegen, weil es Millionen Ausländern ohne Papieren einen Weg zur Staatsbürgerschaft gewiesen hätte. Die Parteibasis aber reagierte empört; Rubio galt unter Rechten nicht mehr als prinzipientreuer Konservativer. Dann stieg auch noch Donald Trump in den Wettbewerb um das Weiße Haus ein, verlangte eine durchgängige Mauer an der Grenze zu Mexiko und die Ausweisung sämtlicher Illegaler im Land. Trump führt seitdem in allen Umfragen.

Als Rubio noch vor der Vorwahl in Iowa auftrat, distanzierte er sich also von seiner eigenen Initiative. "Das Thema hat sich verändert", sagte er, damals hätten ihn die Sorgen jener bewegt, die in Amerika bloß arbeiten wollten. Doch mit dem Aufstieg der Terrormiliz "Islamischer Staat" sei Einwanderung zu einer Frage der nationalen Sicherheit geworden. "Wir können es dem IS nicht erlauben, Mörder in dieses Land zu schicken", sagte er. "Wenn wir nicht wissen, wer du bist und warum du kommst, dann reist du nicht ein." Damit übernimmt er teilweise die unerbittliche Linie Trumps, der gleich alle Muslime fernhalten will. Rubios Weg vom Ausländerfreund zum Sicherheitsfanatiker ist ein Beispiel für das flip-flopping, das man Politikern oft vorwirft. Rubios Fans in Iowa stört das nicht. "Er hat sich der neuen Lage angepasst", sagt Kaylyn Blosser, "das ist doch eine gute Sache."

Rubio, der dem Ausschuss für Außenpolitik im US-Senat angehört, inszeniert sich gern als Falke. "Wir sind im Krieg mit dem IS, und wenn ich Präsident bin, werden wir diesen Krieg gewinnen", sagt er. "Der beste Geheimdienst der Welt wird die Terroristen finden, das mächtigste Militär wird sie zerstören, und wenn wir einen von ihnen lebendig fangen, dann kriegt er eine Fahrkarte nach Guantanamo in Kuba, wo wir alles herauskriegen, was er weiß." Wenn dies wie ein Rückfall in die Zeiten von Präsident George W. Bush klingt, einschließlich Folterdrohung, dann ist es so beabsichtigt.

In TV-Debatten gehört Rubio nicht selten zu den Besten. Er wirkt immer kundig, konzentriert und angriffslustig. Seinen einstigen Mentor Jeb Bush hat er in diesem Forum bereits zurechtgestutzt, in dieser Woche gab er sich als der seriöse junge Mann, der über dem allgemeinen Gezänk steht. Einmal stritten sich Trump und Cruz darüber, ob Cruz, der in Kanada geboren wurde, Präsident sein kann. Irgendwann schritt Rubio ein. "Ich unterbreche nur ungern diese Folge Gerichtsfernsehen", sagte er und verlangte, wieder über die Lage der USA zu reden. Die Szene bildet seinen möglichen Weg zum Sieg ab: Trump und Cruz beschädigen sich gegenseitig, am Ende bleibt der nette Mister Rubio.

Seine Gegner freilich verspotten ihn als höflich und adrett, aber unerfahren. Man dürfe die Aufgaben eines Mannes nicht einem Jungen überlassen, twitterte Trump einmal. Und Rubios schneller Aufstieg weckt manchmal Argwohn: "Interessiert sich dieser Kerl eigentlich nur für den nächsten Karriereschritt?", fragen die Skeptiker - er wäre nach Obama der nächste Jungsenator ohne Regierungserfahrung im Weißen Haus. Aber Rubios politisches Talent ist offenkundig; seine Fans sagen, dass er von allen Republikanern der "wählbarste" sei, jener, der am ehesten Hillary Clinton schlagen könne. Als er noch dem Parlament von Florida angehörte, sagte der Demokrat Dan Gelber: "Wenn Rubio spricht, dann schwärmen junge Frauen, alte Frauen fallen in Ohnmacht, und die Toiletten spülen sich von selbst."

Seine Agenda klingt weder jung noch fortschrittlich

Seine Befürworter hoffen, dass er in diesem extrem polarisierenden Wahlkampf als derjenige gewinnt, der Brücken bauen kann. Zunächst in der Vorwahl: Rubio stammt aus den Reihen der rechtspopulistischen Tea Party, die ihn einst in den US-Senat beförderte; er kommt aber immer besser mit den etablierten Parteichefs zurecht. Sollte er beide Lager versöhnen, könnte er die Nominierung gewinnen. Anschließend müsste er in der Hauptwahl wohl gegen Clinton antreten und eine neue, landesweite Koalition hinter sich scharen. Das ist gar nicht so einfach: Rubio mag jung sein, aber seine Agenda klingt weder jung noch fortschrittlich: Klimaschutz ist ihm unwichtig, die Homo-Ehe lehnt er ab, Obamas Krankenversicherung würde er abschaffen, den Mindestlohn nicht erhöhen, die Annäherung an Iran und Kuba würde er sofort umkehren.

Um zu gewinnen, müsste er die republikanischen Wähler stark mobilisieren, aber auch Wechselwähler und Demokraten für sich einnehmen. Das kann im Prinzip nur beim Thema Außenpolitik gelingen, wo selbst Demokraten von Obama und Clinton enttäuscht sind. Damit die Rechnung aufgeht, muss der Terror des IS weiterhin den Wahlkampf beherrschen, und die Wähler müssen es dem netten jungen Mann aus Florida abnehmen, dass er als Oberbefehlshaber mehr könnte als nur gut reden. Unerwartet viele republikanische Parteimitglieder haben das nun getan - zumindest in Iowa.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2016
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