Süddeutsche Zeitung

Ukraine nach Timoschenko-Urteil:Falsches Kalkül in Kiew

Der ukrainische Präsident Janukowitsch hat eine Versöhnung mit seiner innenpolitischen Rivalin Julia Timoschenko abgelehnt. Jetzt zahlt die politische Führung in Kiew den Preis dafür - sowohl innenpolitisch, als auch im Ausland.

Thomas Urban, Kiew

Hat sich die ukrainische Führung selbst ausmanövriert? Oder plante sie von Anfang an, sich mit Moskau zu arrangieren? Pokert sie gar mit dem Kreml, um einen Rabatt für russisches Erdgas herauszuschlagen, dann aber wieder einen Westschwenk vorzunehmen?

Sicher ist bei dem Kräftemessen zwischen Kiew, Moskau und Brüssel eigentlich nur, dass es um die künftige Gestalt Osteuropas geht. Wird der Neoimperalist Wladimir Putin die ehemaligen Sowjetrepubliken unter den Schirm Moskaus zurückholen können? Oder bewahrt sich die Ukraine mit Hilfe der EU doch die Chance, ein demokratischer Staat zu werden?

Eine Demokratisierung hat der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch, ein früherer Apparatschik, sicherlich nicht im Sinn; doch wäre dies ein Nebeneffekt, käme es zu einer Annäherung an die EU. Ein Teil der hinter Janukowitsch stehenden Industriemagnaten strebt diese Nähe an - die Unternehmer sind auf westliche Technologie angewiesen und wollen sich auf gar keinen Fall von Putin kontrollieren lassen.

Allerdings spricht derzeit mehr dafür, dass die Kiewer Führung von der Entwicklung der Dinge getrieben wird als selbst einem Plan zu folgen. Letztlich zahlt sie so einen Preis für die kleingeistige Rachsucht Janukowitschs - sie liegt wohl hauptsächlich dem Strafverfahren gegen seine innenpolitische Rivalin Julia Timoschenko zugrunde.

Timoschenko hatte ihn nämlich vor sieben Jahren bei der "orangenen Revolution" gedemütigt. Janukowitsch hat nicht begriffen, dass ihn eine Geste der Versöhnung innenpolitisch stärken würden. Gleichzeitig wäre er in einer viel besseren Position sowohl gegenüber Brüssel, als auch gegenüber Moskau.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2011
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