Süddeutsche Zeitung

Trump nach dem Amoklauf:"Einer der besten Gründe, gesetzestreue Bürger zu bewaffnen"

Lesezeit: 4 min

In Texas spricht Donald Trump vor der einflussreichen National Rifle Association. Nach dem Massaker an einer Grundschule schlägt der Ex-Präsident unter Jubelrufen vor: Lasst die Lehrer Waffen tragen!

Von Reymer Klüver

Es ist ein makabrer Zufall des Kalenders, gewiss. Aber er verdeutlicht schlaglichtartig das zerrissene Verhältnis, das Amerikas Politik und Gesellschaft seit Jahrzehnten prägt im Umgang mit der wachsenden Flut an Waffen im eigenen Land - und mit dem enormen Unheil, das diese anrichten. Am Dienstag das schreckliche Massaker im kleinen texanischen Städtchen Uvalde mit 19 erschossenen Kindern und nun, nur Tage später, an diesem Wochenende der jährliche Treff der National Rifle Association (NRA) ein paar Autostunden entfernt in Houston, ebenfalls Texas. Die NRA ist, wenn man so will, das Zentralorgan der amerikanischen Waffenindustrie, die organisatorische Verkörperung der US-Waffenlobby, die seit Jahrzehnten mit Erfolg jeden Versuch abschmettert, der Waffenplage in den Vereinigten Staaten Herr zu werden.

Und Donald Trump wäre nicht Donald Trump, wenn er diese schreckliche Koinzidenz der Ereignisse nicht maximal für seine Zwecke ausnützen würde. Der ehemalige Präsident sprach am Freitagabend als Hauptredner in Houston, einen Grund, seinen Auftritt abzusagen oder jedenfalls seine Botschaft zu überdenken, sieht er nicht. Er werde für die Opfer in Uvalde beten, erklärte er vorab; jetzt sei nicht die Zeit für "Politiker und Parteilichkeit".

Das Gegenteil ist richtig. Gerade jetzt sind Politiker gefragt - und gerade jetzt wird Parteilichkeit gerade von den Sponsoren seines Auftritts verlangt. Denn die NRA, ursprünglich nichts anderes als ein Zusammenschluss von Schützenvereinen, beeinflusst seit den 1970er-Jahren massiv die US-Politik in Washington. Dabei hilft ihr zweierlei: Geld und Druck. Das Geld stammt von der Waffenindustrie und von Mitgliedsbeiträgen, damit werden Wahlkampfspenden in großem Stil finanziert - für konservative Politiker, die sich gegen Beschränkungen für Waffenverkäufe einsetzen. Wer sich dagegen wehrt, wird unter Druck gesetzt: Wenig wirkt unter konservativen Amerikanern mehr als der Hinweis, ein Politiker könnte ihnen den Besitz ihrer Pistolen und Flinten im Waffenschrank streitig machen wollen. Diese Obsession mit Waffen ist aus kontinentaleuropäischer Sicht schwer verständlich, dürfte aber viel mit dem von der amerikanischen Verfassung sanktionierten Recht auf Waffenbesitz zu tun haben.

"Das Einzige, was einen Bösewicht mit einer Waffe aufhält, ist ein guter Kerl mit einer Waffe"

Tatsächlich hat die NRA so in den vergangenen 50 Jahren eine Spirale in Gang gesetzt, die dazu geführt hat, dass, statistisch gesehen, inzwischen jeder Amerikaner eine Schusswaffe besitzt. Kaum etwas illustriert diese Logik der Aufrüstung besser als das Mantra der NRA-Lobbyisten: "Das Einzige, was einen Bösewicht mit einer Waffe aufhält, ist ein guter Kerl mit einer Waffe." Wie erwartet, wurden bei der Tagung am Freitagabend die Opfer von Uvalde wortreich betrauert, verbunden mit der Forderung nach mehr bewaffnetem Schutz für die Schulen des Landes.

Und auch Trumps mit Spannung erwartete Rede ging in diese Richtung. Der Ex-Präsident schimpfte über "zynische Politiker", die versuchen würden, weinende Familien auszunutzen, um ihre eigene Macht zu vergrößern und die verfassungsmäßigen Rechte zu beschneiden. Sie würden ihre "extreme politische Agenda" vorantreiben. "Die Existenz des Bösen in unserer Welt ist kein Grund, gesetzestreue Bürger zu entwaffnen", sagte Trump. "Die Existenz des Bösen ist einer der besten Gründe, gesetzestreue Bürger zu bewaffnen." Als Antwort auf Taten wie in Uvalde fordert er, ganz auf Linie mit der NRA, auch Lehrkräften zu erlauben, Waffen zu tragen - eine Position, für die der Ex-Präsident denn auch direkt im Saal bejubelt wurde.

Nur Waffen helfen gegen Waffengewalt: Als Beleg für dieses in vielen Variationen wiederholte Mantra bat Trump schließlich einen Sicherheitsbediensteten einer Kirchengemeinde auf die Bühne, der im Dezember 2019 einen Mann gestoppt hatte, der während eines Gottesdienstes in Texas um sich geschossen und zwei Menschen getötet hatte. Für die NRA ist der Gemeindemitarbeiter ein Held, und auf der Bühne erzählte er nun, er habe damals nicht etwa einen Menschen getötet - er habe das Böse entfernt. Trump neben ihm klatschte, und der Mann ergänzte noch: Auch was sich in Uvalde zugetragen habe, sei schlicht das Böse gewesen. Auf das Böse müsse man stets vorbereitet sein. Wie, das dürfte allen im Saal klar gewesen sein; die NRA verbreitete die Ehrung ihres Helden anschließend auf Twitter mit den Worten: "Die Linken wollen nicht, dass Sie das sehen".

Politische Spitzen gegen Parteifreunde ließ Trump sich nicht nehmen und nahm den Gouverneur von Texas, Greg Abbott, ebenfalls Republikaner, aufs Korn, weil dieser dem NRA-Kongress ferngeblieben war. Den Namen nannte Trump nicht, aber jeder im Saal wird gewusst haben, wer gemeint war, als Hauptredner des Abends sagte: "Im Gegensatz zu anderen habe ich euch nicht enttäuscht, indem ich nicht aufgetaucht bin."

Natürlich gibt es auch die andere Sicht im politischen Washington. Allen voran ließ Präsident Joe Biden, bekanntlich ein Demokrat, seinem Frust über den Einfluss der Waffenindustrie und ihrer politischen Helfershelfer freien Lauf. "Als Nation müssen wir uns fragen, wann in Gottes Namen wir der Waffenlobby die Stirn bieten."

Im Kongress redete der demokratische Senator Chris Murphy seinen Kollegen ins Gewissen: "Nirgendwo sonst gehen kleine Kinder zur Schule und denken, sie könnten an diesem Tag erschossen werden." Murphy setzt sich seit Jahren für schärfere Waffengesetze ein. Vor genau zehn Jahren starben in seinem Heimatstaat Connecticut bei einem ähnlichen Amoklauf wie jetzt in Uvalde insgesamt 28 Menschen, darunter 20 Kinder. Von Republikanern dagegen kommen meist pflichtschuldige Beileidsbekundungen und Betroffenheitserklärungen. Der texanische Senator John Cornyn sprach vom "schlimmsten Albtraum für Eltern und Lehrer" und dankte den Einsatzkräften - von politischen Konsequenzen aber keine Spur.

Ein Lehrbeispiel ist eben das Sandy-Hook-Massaker 2012 in Connecticut. Damals verabschiedete das Repräsentantenhaus tatsächlich ein Gesetz, das bundesweit einheitlich sogenannte Back-Ground-Checks eingeführt hätte, also eine Überprüfung aller Personen, die eine Pistole oder ein Gewehr kaufen wollen. Das Gesetz scheiterte dann im Senat an den Stimmen der Republikaner und einiger Demokraten. Immer wieder gibt es dieses Muster.

Wird es diesmal anders sein? Immerhin sagte der bärbeißige Chef der Republikaner im Senat, Mitch McConnell: "Ich bin zuversichtlich, dass wir eine überparteiliche Lösung finden werden." Doch am selben Tag, am Donnerstag, blockierten seine Republikaner im Senat ein Gesetz, das Konsequenzen aus dem rassistisch motivierten Supermarkt-Massaker vor nicht einmal zwei Wochen in Buffalo gezogen hätte, bei dem zehn schwarze Amerikaner von einem Weißen erschossen wurden.

Ein kleines Zeichen der Hoffnung gibt es immerhin. Senator Joe Manchin, ein rechter Demokrat aus dem Hillbilly-Bundesstaat West-Virginia, der schärfere Waffengesetze stets abgelehnt hat, erklärte sybillinisch: "Diesmal fühlt es sich anders an."

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