Süddeutsche Zeitung

Möglicher Gefangenenaustausch:Russland will offenbar auch Tiergartenmörder freibekommen

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Weil zwei US-Amerikaner in russischer Haft sitzen, verhandeln beide Regierungen Berichten zufolge über einen Gefangenenaustausch. Doch auf Moskaus Forderung reagiert Washington mit klaren Worten.

Von Philipp Saul, Portland

In den Verhandlungen um eine Freilassung zweier in Russland inhaftierter US-Bürger hat sich Moskau offenbar bemüht, auch den verurteilten Mörder aus dem Berliner Tiergarten in einen möglichen Gefangenenaustausch einzubeziehen. Wie unter anderem CNN und die Washington Post berichten, soll Russland den USA eine entsprechende Forderung bereits Anfang des Monats über informelle Geheimdienstkanäle übermittelt haben. Die US-Regierung habe dies zurückgewiesen.

In der Parkanlage Kleiner Tiergarten in Berlin war im August 2019 ein Tschetschene mit georgischer Staatsangehörigkeit erschossen worden. Das Kammergericht Berlin verhängte später eine lebenslange Haftstrafe gegen den Russen Vadim K., der nach Überzeugung der Richter im Auftrag staatlicher russischer Stellen handelte. Die Regierung in Moskau weist das zurück. Der sogenannte Tiergartenmord führte zu diplomatischen Verwerfungen zwischen Deutschland und Russland. Beide Staaten wiesen jeweils mehrere Diplomaten des anderen Landes aus.

Inzwischen haben sich die internationalen Beziehungen wegen des Krieges in der Ukraine noch deutlich weiter verschlechtert. Moskau sieht sich zudem dem Vorwurf ausgesetzt, sich wenige Tage vor dem völkerrechtwidrigen Überfall ein politisches Faustpfand gegen die US-Regierung von Präsident Joe Biden gesichert zu haben: Am 17. Februar hatten Beamte am Flughafen Moskau-Scheremetjewo Haschisch-Öl bei der amerikanischen Profibasketballerin Brittney Griner am gefunden. Sie sitzt seitdem in Haft und muss sich gerade vor Gericht verantworten. Weil sie als eine der besten Basketballspielerinnen der Welt gilt, wuchs der öffentliche Druck auf Biden immer weiter, sich intensiver für ihre Freiheit einzusetzen.

Nachdem sich die Amerikaner lange im Stillen bemüht hatten, verkündete US-Außenminister Antony Blinken am Mittwoch überraschend, man habe ein "umfangreiches Angebot auf den Tisch gelegt", damit Griner freigelassen werde. Nach einem "offenen und direkten Gespräch" mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow sagte Blinken am Freitag schließlich, er habe seinen Amtskollegen gedrängt, "den substanziellen Vorschlag" zur Freilassung von Griner und Whelan anzunehmen.

Zwar äußerte sich Blinken nicht öffentlich zu Details, jedoch berichten US-Medien, die Regierung habe Moskau ein Angebot für einen Gefangenenaustausch unterbreitet. Dieser umfasse neben Griner auch den ehemaligen US-Soldaten Paul Whelan, der als Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma tätig war, und Ende 2018 in Moskau wegen des Verdachts auf Spionage verhaftet wurde.

Washington ist demnach bereit, im Austausch für Griner und Whelan den in den USA inhaftierten russischen Waffenhändlers Viktor But an Russland zu übergeben. Er trägt den Spitznamen Kaufmann des Todes und ist ein früherer Sowjetoffizier, der Autokraten und Rebellen in zahlreichen Ländern illegal mit Waffen ausgerüstet haben soll. In den USA verbüßt er derzeit eine Haftstrafe von 25 Jahren.

USA: "Kein ernsthaftes Gegenangebot"

Dass Russland offenbar nicht nur But, sondern auch den Tiergartenmörder Vadim K. freibekommen möchte, ist für die USA problematisch, weil auf diese Weise ein drittes Land einbezogen würde. Der heute 56-Jährige K. sitzt in Deutschland im Gefängnis.

Washington habe den durch Geheimdienstkanäle übermittelten russischen Vorstoß nicht als legitimes Gegenangebot für den eigenen Vorschlag angesehen, berichtet CNN. Dennoch hätten sich US-Offizielle leise bei der deutschen Seite erkundigt. Die Frage, ob die deutsche Regierung bereit sei, K. in den Gefangenenaustausch mit einzubeziehen, so berichtet der Sender unter Berufung auf eine deutsche Quelle, sei in Berlin aber nie auf oberster Regierungsebene besprochen worden.

Die Biden-Regierung habe das informelle Gegenangebot am Freitag zurückgewiesen, berichtet die Washington Post. Und CNN zitiert die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, Adrienne Watson, mit deutlichen Worten: "Zwei zu Unrecht inhaftierte Amerikaner als Geiseln für die Freilassung eines russischen Attentäters in der Obhut eines Drittlandes zu halten, ist kein ernsthaftes Gegenangebot." Sie sagte demnach in einer Erklärung: "Es ist ein böswilliger Versuch, das auf dem Tisch liegende Abkommen zu umgehen, auf das Russland eingehen sollte." Unklar ist, ob Watson die russische Forderung bestätigte oder lediglich eine generelle Aussage traf.

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