Süddeutsche Zeitung

Thüringen:"Ein neuer Tag in Absurdistan"

Lesezeit: 3 min

Christine Lieberknecht steigt aus beim Ringen um die neue Thüringer Landesregierung. Dass sie ihrer eigenen Partei eine Abfuhr erteilt, lässt die Christdemokraten wie erneut glücklose Taktierer dastehen.

Von Ulrike Nimz, Erfurt

Es ist Susanne Hennig-Wellsow, Landes- und Fraktionschefin der Thüringer Linken, die die Stimmung auf den Punkt bringt. Mit dünnem Lächeln tritt sie vor die Journalisten, von denen man nicht weiß, ob sie wieder auf den Landtagsfluren lungern oder immer noch. "Guten Morgen in Thüringen, wieder ein neuer Tag in Absurdistan." Die politischen Ereignisse im Freistaat, sie wirken mitunter wie eine öffentlich-rechtliche Krankenhaus-Serie, nennen wir sie: "In aller Feindschaft." Die ganze Zeit passiert krasses Zeug, eine überraschende Wendung folgt auf die nächste, aber am Ende ist alles wieder so wie es am Anfang war. Nur, dass sich anders als im Fernsehen eben kein Gefühl der Behaglichkeit einstellt, sondern eine schleichende Frustration, die in Zigaretten und Sarkasmus ihr Ventil findet.

Etwa 36 Stunden hat sie sich gehalten, die Idee Bodo Ramelows (Linke), seine Vorgängerin Christine Lieberknecht (CDU) zur Übergangs-Regierungschefin zu machen, gewählt von einem Landtag in Auflösung, flankiert von drei rot-rot-grünen Ministern. Immerhin einen halben Tag länger als der FDP-Mann Thomas Kemmerich, der Anfang Februar mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde.

Mohring kritisiert den Beschluss der Bundespartei, nicht mit Linken und AfD zu kooperieren

Am Mittwochmorgen ist klar: Christine Lieberknecht will nicht die Hauptdarstellerin dieser neuen Erfurter Episode sein. Auch weil ihre Partei Ramelows Vorstoß abgelehnt und einen Gegenvorschlag unterbreitet hat: Zwar begrüße man die Personalie Lieberknecht, aber nur mit einer parteiübergreifenden Expertenregierung. Neuwahlen erst später. Angesichts der für die CDU desaströsen Umfragewerte wirkte das wie ein Spiel auf Zeit. Bis kurz vor Mitternacht hatten Vertreter der Fraktionen am Dienstag die Szenarien diskutiert. Um dann ohne Ergebnis vor die Tür zu treten. Bis Freitag, hieß es, wolle man eine Lösung finden. Auch dieser Zeitplan steht nun auf der Kippe. Eigentlich ein ganzes Land.

Sie habe sich von Anfang an nur für die Lösung von Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow bereit erklärt, sagte Lieberknecht der Thüringer Allgemeinen. "Ich bin raus aus der Debatte." Der Widerspruch zwischen Rot-Rot-Grün und ihrer Partei lasse sich nicht auflösen. Einzige Lösung ist laut Lieberknecht eine Koalition von Linke und CDU. "Wer jetzt keine Neuwahlen will, muss Bodo Ramelow mit verlässlicher Mehrheit zurück ins Ministerpräsidentenamt verhelfen und dann am besten mit ihm in eine Regierung gehen, ob das nun Projektregierung oder anders heißt."

Für ihre klare Haltung erntet Lieberknecht am Mittwoch fraktionsübergreifend eine Mischung aus Bedauern und Respekt. Linke, SPD und Grüne pflichten ihr bei, dass es jetzt nur noch zwei Möglichkeiten gebe: sofortige Neuwahlen oder eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung, gestützt durch die CDU.

"Der Vorschlag von Bodo Ramelow ist von der CDU-Fraktion bis zur Unkenntlichkeit gebogen worden", sagt Matthias Hey, Vorsitzender der SPD-Fraktion. Am Abend zuvor hat er mit leerem Blick und einer Packung Edel Nougat vor der Brust dem ratlosen Statement seines Genossen Wolfgang Tiefensee gelauscht. "Wir müssen jetzt einfordern, dass die CDU etwas für das Land tut und nicht nur für die eigene Partei", sagt Hey. Selbst bei einer "Regierung Ramelow" seien die Mehrheitsverhältnisse im Landtag noch dieselben.

Die Christdemokraten wirken wie glücklose Taktierer

Es brauche daher eine Art Kooperationsvertrag, um festzuschreiben, wie sich die CDU beispielsweise bei Anträgen der AfD verhalte. "Bei meinen Fraktionären ist das Vertrauen nachhaltig gestört. Ich sage aber auch: Als Block von Demokraten können wir nicht nur auf den 5. Februar rekurrieren. Wir müssen dafür sorgen, dass die AfD uns nicht erneut vorführen kann", sagt Hey. Natürlich werde man Bodo Ramelow nur aufstellen, wenn die CDU eine Mehrheit im ersten Wahlgang zusichere, sagt Susanne Hennig-Wellsow und wird sich schon selbst vorkommen wie eine Schallplatte mit Sprung, so oft hat sie diesen Satz in den vergangenen Tagen in Mikrofone sprechen müssen.

Dass Lieberknecht nun ihrer eigenen Partei eine Abfuhr erteilt hat, lässt die Christdemokraten einmal mehr wie glücklose Taktierer wirken. Allen voran Mike Mohring, mit dem sich Lieberknecht 2009 ein Gefecht von Denver-Clan-mäßigem Ausmaß um den Posten des scheidenden CDU-Ministerpräsidenten Dieter Althaus lieferte. Am Nachmittag tritt der CDU-Landeschef aus der Fraktionssitzung seiner Partei, zuversichtlicher, als es die Situation gebietet: Eigentlich hatte die Fraktion ihm heute die Vertrauensfrage stellen wollen, aber dazu kommt es nicht. Mohring bleibt Chef, bis am 2. März ein neuer Vorstand gewählt wird. Er selbst hat versichert, nicht mehr antreten zu wollen. Und doch wirkt er nicht gerade wie jemand, der vor den Trümmern seiner Karriere steht.

Er bedaure den Rückzug Lieberknechts, sagt Mohring, verstehe aber ihre Gründe, teile auch ihre Einschätzung der Lage. Der CDU-Mann kritisiert den Beschluss der Bundespartei, nicht mit der Linken und der AfD zusammenzuarbeiten. Das Kooperationsverbot sei grundsätzlich richtig, jedoch "nicht vereinbar mit der Lebensrealität in Thüringen". "Ich plädiere dafür, dass man den Landesverbänden zutraut, den Beschluss so auszulegen, dass politische Handlungsfähigkeit besteht. Ein Parteitagsbeschluss kann nicht höher stehen als das Wohl des Landes."

Man könne sich schließlich nicht von Neuwahl zu Neuwahl hangeln, bis das Ergebnis stimme, so Mohring. Auf die Frage, ob man wieder dort angelangt sei, wo man nach der Landtagswahl Ende Oktober gewesen sei, nickt er: "So ist es." Die CDU-Fraktion habe sich jedoch auf einen Vorschlag verständigt, den man nun mit in die Gespräche mit Rot-Rot-Grün nehmen werde. Über Details habe man Vertraulichkeit vereinbart. Wird die CDU am Ende Ramelow stützen? Mohring sagt dazu nichts. Das nennt man wohl einen Cliffhanger.

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Quelle:
SZ vom 20.02.2020
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