Süddeutsche Zeitung

Syrien:Kampfflugzeuge attackieren türkischen Konvoi

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Von Moritz Baumstieger, München

In der nordsyrischen Rebellenenklave Idlib wächst die Gefahr eines Zusammenstoßes zwischen der Armee von Machthaber Baschar al-Assad und türkischen Soldaten. Am Montag berichteten türkische wie regimetreue syrische Medien, dass Kampfflugzeuge zweimal einen türkischen Konvoi in der Nähe der Stadt Khan Scheichun angegriffen haben. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums kamen dabei drei Zivilisten ums Leben, zwölf wurden verletzt. Der Zwischenfall dürfte zudem die Beziehungen zwischen Moskau und Ankara belasten.

Die syrische Armee hatte Ende April eine Offensive auf die Region Idlib gestartet, das letzte größere Gebiet unter Kontrolle von Aufständischen. Während der Vorstoß trotz massiver Unterstützung der russischen Luftwaffe zunächst kaum vom Fleck kam, gelang es den syrischen Verbänden in der vergangenen Woche, einen Keil in das hauptsächlich von islamistischen Milizen kontrollierte Gebiet zu treiben. Die Stadt Khan Scheichun und ihr südliches Umland droht nun eingekesselt zu werden.

Khan Scheichun wäre die erste größere Stadt, die syrische Einheiten in der Region einnehmen könnten. Der Ort hat im April 2017 traurige Berühmtheit erlangt, als mindestens 86 Menschen bei einem Giftgasangriff starben, mutmaßlich nach Kontakt mit dem Nervenkampfstoff Sarin. Eine Untersuchungskommission der UN kam später zu dem Schluss, dass die syrische Regierung für den Angriff verantwortlich sei.

In dem nun von einer Einkesselung bedrohten Gebiet liegt ein Stützpunkt der türkischen Armee. Um eine humanitäre Katastrophe und neue Flüchtlingsbewegungen unter den mehr als drei Millionen Einwohnern Idlibs zu verhindern, hatten sich Russland und die Türkei im Sommer 2017 in Astana auf die Errichtung von Beobachterposten entlang der Front verständigt. Die in Idlib mächtige, al-Qaida-nahe Miliz Hayat Tahrir al-Sham duldete damals die Entsendung türkischer Soldaten. Im Herbst 2018 verpflichtete sich die Türkei in einem neuen Abkommen mit Russland, die Gruppe zu entwaffnen, was jedoch nie gelang.

Das türkisch-russische Verhältnis pendelt seit Jahren zwischen Anspannung und Annäherung

Von den ursprünglich zwölf geplanten Stützpunkten hat die Türkei seit 2017 sechs tatsächlich in Betrieb genommen, unter ihnen einer am südlichsten Ende des Rebellengebietes nahe des Ortes Murak. Zu diesem Beobachtungsposten war der türkische Konvoi ab dem frühen Montagmorgen mit Nachschub, aber auch einigen auf Lkws geladenen Panzern unterwegs, als Kampfflugzeuge um 8.55 Uhr das erste Mal angriffen. Nach Angaben von Oppositionsaktivisten, die den Funkverkehr der syrischen Armee abhören, sollten die Kampfflieger verhindern, dass die Lkws ihr Ziel erreichen. Ein türkischer Offizier vor Ort soll zudem gesagt haben, dass mit dem Material zwei weitere Beobachtungsposten nahe der Front errichtet werden sollten.

Während das Außenministerium in Damaskus die Entsendung des Konvois als einen "ungeheuerlichen Eingriff" in die syrische Souveränität ansah, verurteilte das türkische Verteidigungsministerium den Angriff auf seine 25 Militärwagen aufs Schärfste. Der türkische Protest richtete sich jedoch weniger gegen die syrische Armee, als gegen die russische Führung. Noch ist nicht sicher, ob die angreifenden Flugzeuge zur russischen oder syrischen Luftwaffe gehörten. Doch so oder so trägt Moskau mindestens eine Mitverantwortung für den Angriff: Ohne Zustimmung russischer Kommandanten hebt kein Flugzeug von Assads Luftwaffe in Syrien ab.

Das türkisch-russische Verhältnis pendelt seit Jahren zwischen Anspannung und Annäherung. Im Syrienkrieg unterstützen beide unterschiedliche Seiten, versuchen in den Astana-Gipfeln aber Kooperationen zu finden, bei denen EU, USA und UN außen vor bleiben. Zwischenfälle wie der von Montag erinnern an das Jahr 2015, als die Türkei einen russischen Jet abschoss und so eine schwere politische Krise auslöste. Gleichzeitig versucht Moskau die Türkei aus dem Kreis der Nato-Staaten zu lösen. Der gegen den heftigen Prostet der USA erfolgte Verkauf des russischen Luftabwehrsystems S-400 an die Türkei in diesem Sommer war da ein großer Erfolg für Moskau.

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Quelle:
SZ vom 20.08.2019
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