Süddeutsche Zeitung

Syrien:Der Krieg zieht weiter - von Aleppo nach Idlib

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Von Moritz Baumstieger, München

Kurz vor 15 Uhr Ortszeit war es am Donnerstag endlich soweit: Der erste Konvoi, der 200 Verletzte und mehr als 700 Zivilisten aus den letzten Gebieten unter Rebellenkontrolle in Ost-Aleppo herausbringen sollte, begann zu rollen. Mehr als zwei Stunden lang hatten Mitarbeiter des syrischen Roten Halbmondes und des Internationalen Roten Kreuzes die ausgehungerten und durchgefrorenen Menschen aus Ost-Aleppo in 13 Krankenwagen verladen und in den 20 Bussen platziert, dann fuhren die Fahrzeuge in langer Kolonne langsam um den Ramouseh-Kreisverkehr.

Der syrische Machthaber Baschar al-Assad sollte die Stadt am Donnerstagabend in einem Video für "befreit" erklären, die bereits mit seinem Porträt geschmückten grünen Busse bogen ein die Stadtautobahn Nummer 5. Das Ziel des Konvois und aller, die in den nächsten Tagen folgen, liegt keine vier Kilometer westlich - so schmal ist der von der Regierung gehaltene Korridor zwischen dem von Rebellen kontrollierten Umland Aleppos und den Vierteln, die sie nun nach langem Kampf aufgeben.

Trotz dieser lächerlich kurzen Distanz war die Rettung der Menschen aus Ost-Aleppo immer wieder gescheitert. Erst kamen die Verhandler zu keiner Lösung, dann fanden sie eine Übereinkunft am Dienstagabend. Das Abkommen überlebte aber nicht einmal die Nacht zum Mittwoch, da wurde wieder geschossen, flog die syrische Luftwaffe wieder Angriffe auf die gerade noch 2,5 Quadratkilometer große Enklave der Rebellen.

Und auch am Donnerstag drohte die Evakuierung in letzter Sekunde zu platzen: Als am Vormittag ein erster Konvoi sich an den Kreisverkehr wagte, geriet er unter Feuer. Drei Insassen wurden schwer verwundet, ein Freiwilliger der Hilfsorganisation Weißhelme getötet, als er Trümmer von der Straße räumte. Geschossen haben sollen nach Angaben der Opposition Milizionäre der libanesischen Hisbollah, die im Syrienkonflikt auf Seiten des Machthabers Baschar al-Assad kämpft.

Sie hat Berichten zufolge schon die Umsetzung der ersten Evakuierungs-Pläne vom Mittwoch hintertrieben, indem sie in letzter Sekunde Bedingen stellte, die auch Iran aufgegriffen hat: Die beiden schiitischen Mächte wollten erreichen, dass parallel zur Räumung von Ost-Aleppo auch die Bewohner von zwei schiitischen Dörfern weggebracht werden, die sich inmitten des Rebellengebietes rund um die Stadt Idlib befinden.

Die Orte al-Fu'a und Kafariya werden seit März 2015 von islamistischen Rebellen belagert, syrische und iranische Flugzeuge versorgten sie durch mit Fallschirmen abgeworfenen Hilfslieferungen aus der Luft, außerdem konnten Konvois des Internationalen Roten Kreuzes die regierungstreue Enklave wiederholt ansteuern. Solche Hilfslieferungen nach Ost-Aleppo erlaubte das syrische Regime hingegen nicht.

Als dann 29 Fahrzeuge zur Evakuierung in al-Fu'a und Kafariya eingetroffen waren und auch die Busse aus Ost-Aleppo startklar waren, ordnete Assads wichtigster Verbündeter, der russische Präsident Wladimir Putin, nach Angaben der Agentur Tass persönlich an, dass russische Soldaten den Konvoi aus Aleppo bis an die Grenze der Rebellengebiete eskortieren sollten. Damit wollte Moskau wohl weitere Zwischenfälle verhindern, die die labile Übereinkunft zwischen Regime und Rebellen gefährdet und neue Gewalt provoziert hätten. Um 16 Uhr Ortszeit erreichte der Konvoi mit den ersten Bewohnern Ost-Aleppos nach Berichten des syrischen Staatsfernsehens dann al-Radischin, den ersten Ort im Rebellengebiet westlich der Stadt.

An den Sammelpunkten in Ost-Aleppo warten nun nach Schätzungen des Leiters des UN-Hilfseinsatzes in Syrien, Jan Egeland, bis zu 50 000 weitere Menschen, die das weitgehend zerstörte ehemalige Rebellengebiet verlassen wollen. Die Vereinten Nationen sind an der Evakuierung beteiligt, Egeland zufolge hat Russland sehr kurzfristig um Hilfe gebeten. Die Evakuierung soll nach Schätzungen der UN in zwei bis drei Tagen bewältigt werden.

Bis zu 5000 der Männer, die auf einen Transfer warten, sollen Milizen angehören und gegen die Regierungstruppen und ihre Verbündeten gekämpft haben. Sie und ihre Familien wollen großteils in die Stadt Idlib übersiedeln, die von islamistischen Rebellengruppen beherrscht wird. Viele andere Zivilisten befürchten ebenfalls Vergeltungsaktionen der Milizen aus Libanon, dem Irak, Iran und Afghanistan, die für das Regime kämpfen, andere haben Angst, für die syrische Armee zwangsrekrutiert zu werden.

Viele Zivilisten nennen nach UN-Angaben die Türkei als Ziel. Die Rebellengebiete im Norden, in die sie gebracht werden sollen, grenzen zwar an die Türkei, doch eine Flucht von dort ist nicht mehr so einfach möglich wie vor einem Jahr. Um sich vor einem neuen Ansturm aus dem Nachbarland zu schützen, hat Ankara eine Mauer entlang der einstmals grünen Grenze bauen lassen, an der scharf geschossen wird. Mehrere Menschen kamen bei Fluchtversuchen zu Tode.

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Quelle:
SZ vom 16.12.2016
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