Süddeutsche Zeitung

Streit um Stuttgart 21:Palmer schürt Zweifel an Bahn-Stresstest

Lesezeit: 2 min

Hat die Bahn bei ihrem Stresstest getrickst? Das Unternehmen ist zuversichtlich, Stuttgart 21 ohne große Änderungen bauen zu können. Boris Palmer, grüner Tübinger Oberbürgermeister und Wortführer der S21-Kritiker, fordert Zugriff auf alle Daten des Stresstests - nur so könnten Zweifel ausgeräumt werden. Die Bahn weist alle Vorwürfe vehement zurück.

Michael König

Der Streit um Stuttgart 21 währt seit einer gefühlten Ewigkeit, doch zuletzt ging alles ganz schnell: Am Samstag kamen erste Gerüchte auf, der neue Tiefbahnhof habe den Stresstest bestanden - eine Computersimulation, in der er 30 Prozent mehr Leistungsfähigkeit gegenüber dem jetzigen Kopfbahnhof beweisen soll. Am Sonntag bestätigten Unternehmenskreise diese Information der Süddeutschen Zeitung. Offiziell dementiert die Bahn jedoch - man sei lediglich "zuversichtlich", sagte ein Sprecher. Die Parkschützer, strikte S21-Gegner mit hoher Schlosspark-Affinität, stellten daraufhin die Frage, "ob die Bahn nicht massiv trickst".

Auch Boris Palmer hat Zweifel. Der grüne Oberbürgermeister von Tübingen war in den Schlichtungsverhandlungen unter der Leitung von Heiner Geißler als Wortführer der S21-Kritiker aufgefallen. Gemeinsam mit dem Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 trug er den Schlichterspruch damals mit - was danach passierte, stellt ihn jedoch nicht zufrieden.

"Die Bahn hat sechs Monate in der Geheimkammer gearbeitet und lässt jetzt nach außen dringen, was ihr genehm ist", sagt Palmer im Gespräch mit sueddeutsche.de. Die Parameter des Stresstests seien nicht öffentlich gemacht worden, Zweifel an der Richtigkeit der Simulation seien deshalb nicht von der Hand zu weisen.

Palmer kritisiert auch den straffen Zeitplan, den die Bahn für die Verkündung der Stresstest-Resultate angelegt hat: Nachdem das Schweizer Verkehrsberatungsunternehmen SMA die Computersimulation überprüft hat, soll eine finale Bewertung am 11. Juli der Bahn und der grün-roten Landesregierung zugehen. Öffentlich vorgestellt werden soll das Ergebnis am 14. Juli - den Gegnern bleiben drei Tage Zeit, um sich selbst ein Bild zu machen.

Zu wenig, findet Palmer: "Man kann nur fordern, dass jetzt sofort alle Daten veröffentlicht werden." Das Schlichtungsverfahren müsse erweitert werden, "damit wir Gelegenheit haben, das Ergebnis eingehend zu prüfen." Das könne "nicht an einem Abend" geschehen, sagt der Tübinger Oberbürgermeister.

Ähnlich hatte sich auch Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) geäußert. Am Sonntag ließ er mitteilen, die Bahn streue nun offenbar "ein ihr genehmes Ergebnis." Damit mache sie sich unglaubwürdig: "Denn die Bahn hat bisher die Informationen zum Stresstest gegenüber den Partnern zurückgehalten mit der Begründung, eine frühere Übergabe sei nicht möglich."

Die Bahn widerspricht dieser Darstellung: "Seit Wochen ist das Verkehrsministerium in einem Arbeitskreis stets zeitnah über die Ergebnisse und aktuellen Daten der Simulation informiert worden", sagte Projektsprecher Wolfgang Dietrich der Nachrichtenagentur dpa. In dem zum Teil wöchentlich tagendem Gremium säßen Bahnvertreter und Mitarbeiter des baden-württembergischen Verkehrsministeriums zusammen. "Da gab es nicht nur einen Zuruf."

Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wurde das Ministerium tatsächlich vor kurzem in einer mehrstündigen Sitzung über Stand und Tendenz des Tests unterrichtet. Im Gespräch mit sueddeutsche.de sagte ein Teilnehmer jedoch, die Bahn habe dabei nicht alle Parameter öffentlich gemacht, die nötig seien, um das Ergebnis der Simulation objektiv zu bewerten.

Führen die S21-Gegner ein letztes Rückzugsgefecht, wie Befürworter behaupten? Oder ist der Stresstest tatsächlich so angelegt, dass er für Außenstehende nicht nachvollziehbar ist, wie Kritiker beklagen?

Sicher ist bislang nur eines: der Kampf um die Deutungshoheit ist voll entbrannt - wie schon so oft in der Geschichte von Stuttgart 21.

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