Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahlkampf:Der hohe Norden will nach Berlin

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Ganz im Norden versucht sich der Südschleswigsche Wählerverband an einem Comeback im Bundestag. Bei den Erststimmen konkurriert er mit Robert Habeck. Trotzdem stehen seine Chancen gut.

Von Peter Burghardt, Harrislee

Übermäßig hyggelig ist der Vormittag jetzt nicht auf dem Marktplatz von Harrislee bei Flensburg. Eher frisch, der Himmel grau, am Blumenstand brennt Licht. Aber der SSW zeigt schon seit den Morgenstunden seine blaue Flagge.

Hier oben, gleich neben Dänemark, weiß jeder, dass der SSW die Partei der dänischen und friesischen Minderheit in Deutschland ist. In Harrislee, knapp 12 000 Einwohner, stellt dieser Südschleswigsche Wählerverband im Gemeinderat sogar die stärkste Fraktion. "Für uns im Norden", steht auf dem Banner des SSW. Und nun tatsächlich auf dem Weg nach Berlin?

Stefan Seidler empfängt mit ein paar Parteifreunden an dem kleinen Stand, er ist der erste Bundestagskandidat des SSW seit 1961. Von 1949 bis 1953 hatte mal ein einsamer Vertreter im damals neuen Bonner Bundestag gesessen, danach verschwanden die drei Buchstaben aus der überregionalen Politik und bildeten nur im Kieler Landtag eine Tradition. Stefan Seidler steht nun für den Versuch eines Comebacks, die Chancen sind gut. "Wir brauchen die Zweitstimme", erklärt er gerade einer potenziellen Wählerin mit Einkaufskorb.

Bei der Erststimme wird es schwierig. Favorit im Wahlkreis 1 Flensburg-Schleswig ist Robert Habeck, der Popstar der Grünen. Für ein Mandat allerdings würden dem SSW 40 000 bis 50 000 Zweitstimmen reichen, vielleicht sogar weniger. Das könnte deshalb klappen, weil er als Minderheitenvertretung erstens von der Fünf-Prozent-Hürde befreit ist und zweitens ungefähr 50 000 deutsche Dänen und Friesen in der Gegend leben. Die allermeisten von ihnen sind dem SSW treu, und ein paar andere Wahlberechtigte finden ebenfalls Gefallen an dessen Einsatz für die Region.

Auf nach Berlin

Einige Mitglieder lehnen das bundesweite Experiment zwar ab und wollen, dass der SSW regional bleibt. Die nächsten Landtagswahlen sind im kommenden Mai, der SSW könnte wie zuletzt 2012 SPD und Grüne verstärken oder sich der derzeit mit Grünen und FDP regierenden CDU annähern. Doch die Mehrheit der Partei setzt auf die "Mission Bundestag", wie es auf den Flyern im Motiv eines Wikingerschiffs heißt. "Wenn, dann ist jetzt der Zeitpunkt", sagt eine Frau auf dem Wochenmarkt, die sich auskennt.

Es ist Anke Spoorendonk, sie war für den SSW von 2012 bis 2017 Ministerin für Justiz, Kultur und Europa im Kabinett des damaligen SPD-Ministerpräsidenten Torsten Albig. Der SSW gehörte zur sogenannten Küstenkoalition, gemeinsam auch mit Habecks Grünen, ehe Jamaika übernahm. "Die Parteienlandschaft ist im Aufbruch", sagt Spoorendonk, 74. Die Gelegenheit, nach Jahrzehnten in die Hauptstadt zurückzukehren. Wie der SSW am Wahlabend zwischen den anderen Parteien in den Hochrechnungen im Fernsehen auftauchen wird?

Stefan Seidler ist der Steuermann der Mission Bundestag, die Lehrerin Spoorendonk unterrichtete ihn einst in Flensburgs dänischem Gymnasium und holte ihn in die Politik. Seidler, 41, wuchs zwischen beiden Ländern auf, mit einer dänischen Mutter und einem deutschen Vater. Es liegt in diesem Revier ja alles eng beisammen, auch wenn die Dänen einen seltsamen Wildschweinzaun bauten und an der Grenze wieder vereinzelt kontrolliert wird.

Die Sprache wechseln viele Bewohner oft mitten im Gespräch, für Fremde faszinierend, beim SSW ganz normal. "Im Herzen bin ich Däne", sagt Seidler, ein ruhiger Mann mit schmaler Brille. Mit seinen Kindern spricht er dänisch. Für die Landesregierung ist er seit 2014 Dänemark-Koordinator und hat gemerkt, dass Kopenhagen sich gerne öfter mit Berlin verständigen würde statt mit Kiel. Als Bundestagsabgeordneter möchte Seidler für eine bessere Zusammenarbeit der Nachbarstaaten sorgen. Der SSW bringe "diesen skandinavischen Ansatz" in die Politik, sagt er, "diesen Pragmatismus."

Für den Norden sorgen

Von Skandinavien gäbe es manches zu lernen, zum Beispiel eine zügigere flächendeckende Digitalisierung. Mit seinen Begleitern geht Seidler hinüber zur Harreslev Danske Skole, der dänischen Schule von Harrislee mit ihren gut 200 Schülerinnen und Schülern. In der Schulsporthalle hängt die rote Fahne mit dem weißen Kreuz, die Dannebrog. In einem Klassenzimmer wird eine digitale Tafel besichtigt - der SSW hat sich darum gekümmert, dass der deutsche Digitalpakt auch hierher kam. Er erlebe immer wieder, wie der Norden vernachlässigt werde, gerne von CSU-Verkehrsministern, sagt Seidler. Das will er ändern.

Im Lehrerzimmer schaut die SSW-Delegation auch noch vorbei. Es wird dänisch gesprochen, gelacht. Tak, farvel. Man hört, dass die Lehrerschaft in der Harreslev Danske Skole schon weiß, wer sich für die Schule einsetzt - und am kommenden Sonntag zu wählen sei.

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