Süddeutsche Zeitung

Sprache im Migrationsdiskurs:Warum "Asylant" ein Killwort ist

Lesezeit: 4 min

Sprache wird als Mittel der Ausgrenzung missbraucht, beim Thema Migration zeigt sich ihre demagogische Macht. Asylant sagt zwar kaum noch einer, doch andere Unwörter haben Konjunktur.

Von Sebastian Gierke

Sehr viele Deutsche grenzen Migranten aus. Einfach, indem sie ihnen nicht zugestehen, auch Deutsche sein zu können. Das zeigt eine aktuelle Studie der Berliner Humboldt-Universität. 38 Prozent glauben demnach: Wer ein Kopftuch trägt, kann keine Deutsche sein.

Es ist ein erschreckender Befund, dem die Wissenschaftler der Universität über Begriffe beikommen wollen. "Menschen mit Migrationshintergrund", dieses sprachliche Konstrukt, das vor über 20 Jahren von der Pädagogikprofessorin Ursula Boos-Nünning geprägt wurde, soll aufgelöst werden, empfehlen sie. Es verschärfe die Unterschiede zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund.

Die Studie belegt einmal mehr: Sprache spielt in der Diskussion um Einwanderung und Integration eine entscheidende Rolle. Oft wird sie als Mittel der Ausgrenzung missbraucht. Wer ist Deutscher? Und wer nicht? Wie weit ist es vom "Migranten" zum Deutschen? Wie weit vom "Gastarbeiter", vom "Flüchtling"? Und vom "Asylanten"? Jedes Wort hat unterschiedliche Bedeutungen und Konnotationen.

Sprache ist mächtig. Mit ihr versuchen wir unsere sozialen Beziehungen zu ordnen. Die Begriffe, die wir verwenden, in denen wir denken, prägen unsere politische Realität. Und beeinflussen dadurch unser Verhalten. Wir gieren nach Vertrauten, nach schnellem Erfassen, Bewerten und Bestätigung - und sind deshalb anfällig für Täuschungen und Irrtümer. Im Sprechen über Flüchtlinge lässt sich die demagogische Macht von Sprache immer wieder nachweisen. Gerade in diesem Themenfeld gibt es viele Wörter, die mehr über den aussagen, der sie verwendet, als über den Menschen, den sie bezeichnen. Neger ist so ein Wort. Und Zigeuner. Oder Asylant.

Asylant

Asylant war einst ein unschuldiges Wort. "Es wurde in den 60er Jahren auf völlig harmlose Art und Weise benutzt", erklärt der Linguist Martin Wengeler. Im Duden taucht es erst in der 18. Auflage auf, im Jahr 1980. Nicht ohne Grund.

1980, dem Jahr des Militärputsches in der Türkei, kletterte die Zahl der asylsuchenden Menschen in Deutschland über die Grenze von 100 000. Zu diesem Zeitpunkt war eine emotional geführte Diskussion um diskriminierende Sprache entbrannt - und der Begriff verlor seine Unschuld. "Seit Beginn der 80er Jahren wird das Wort zumeist abwertend gebraucht, dazu, die Menschen zu benennen, die man nicht dahaben will. Anfang der 1990er erreichte das dann den Höhepunkt. Zum Beispiel in Medien wie Bild und Spiegel", sagt Wengeler, der Mitglied der Jury Unwort des Jahres ist.

Es waren vor allem Sprachkritiker und Aktivisten der Political Correctness, die die Verwendung des Begriffs "Asylant" beanstandeten. Allein die Endung: -ant. Wie in Simulant, Ignorant, Querulant, Denunziant. Alles Begriffe, die negative Assoziationen hervorrufen, behaupteten die Kritiker, die für eine diskriminierungsfreie Sprache kämpften.

Das Wort erfuhr eine schleichende Stigmatisierung, weil es selbst stigmatisiert. Immer wieder wurde es mit Komposita versehen: Scheinasylant, Asylantenheim, Asylantenstrom. Ein Kill-Wort, so bezeichnet es der Sprachwissenschaftler Jürgen Link. Und auch wenn es heute hin und wieder noch gebraucht wird: Mitte der 1990er ist der Begriff aus dem öffentlichen Sprachgebrauch größtenteils verschwunden. "Und er wird auch in den aktuellen öffentlichen Diskussionen nach meinem Eindruck kaum benutzt", sagt Wengeler. Der Asylant, das ist nun einer, der aus zweifelhaften Gründen Asyl sucht, der uns bedrängt, das Grundgesetz ausnutzt.

Und die Flüchtlinge? Sind das die politisch Verfolgten, deren Zahl auch noch weniger bedrohlich erscheint?

Flüchtling

Dass Begriffe auch eine Rehabilitierung erfahren können, zeigt das Wort Flüchtling. In den 50er Jahren noch verpönt, hat es heute eine neutrale Bedeutung. "Das Wort Flüchtlinge wurde in den 1950er Jahren in den Diskussionen um die aus den ehemaligen deutschen Gebieten Vertriebenen so benutzt, dass sich Menschen stigmatisiert gefühlt haben", sagt Wengeler. Das habe sich seit Mitte der 1960er Jahre verändert.

Heute bekommt er erst dann eine abwertende Bedeutung, wenn er mit Komposita verbunden wird, wie im Wort Wirtschaftsflüchtling.

Wirtschaftsflüchtling, auch über diesen Begriff wurde in den 1990er Jahren gestritten. Denn er ist nur scheinbar sachlich. Das Wort wurde und wird dazu verwendet, Flüchtlingen die Notwendigkeit zur Flucht abzusprechen, ihnen den Missbrauch des Asylrechts vorzuwerfen.

Allerdings stehen Wortzusammensetzungen mit Flüchtling, im Gegensatz zu Komposita mit Asylant, auch einige neutrale Begriffen gegenüber. Flüchtlingsland zum Beispiel.

Das zeigt, wie schwierig es ist, die polyphonen, dichten Zeichen der Sprache genau einem Sinn zuzuordnen. "Keiner denkt bei dem Wort gerade und genau das, was der andre denkt", schrieb bereits Wilhelm von Humboldt, "und die noch so kleine Verschiedenheit zittert, wie ein Kreis im Wasser, durch die ganze Sprache fort. Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein Nicht-Verstehen."

Metaphern

Oftmals verwenden wir sprachliche Bilder, ohne uns deren metaphorischen Charakters bewusst zu sein. Das Wort Asylant wird während der Asyldebatte beispielsweise oft zusammen mit Sprachbildern verwendet, die mit Chaos und Bedrohung assoziiert werden. Oft sind es Metaphern, die mit Wasser zu tun haben: Flut, Strom, Welle. Die "Asylantenflut" muss "eingedämmt" werden. "Das Boot ist voll."

Auch Militärmetaphorik wird immer wieder verwendet (" Ansturm der Armen", " Abwehr illegaler Einwanderer", " Lage an den Ostgrenzen verschärft", "Einfallsroute") oder Warenmetaphorik ("Import" und "Export" von Arbeitskräften).

Das hat eine schwerwiegende, enthumanisierende Wirkung: "Unser Denken ist vielfach metaphorisch geprägt. Sprache und Denken sind unauflösbar miteinander verbunden", sagt Wissenschaftler Wengeler.

Diskussion um Sprachkritik

Die Debatte um Worte sei eine Scheindebatte, erklären Gegner der politischen Korrektheit. Unnötig verkompliziert würde die deutsche Sprache. An der gesellschaftlichen Realität der Betroffenen würden auch andere Begriffe nichts ändern. Ob es nun Asylbewerber hieße, Asylant oder Flüchtling: Sind das nicht Wortklaubereien?

"Wenn man sprachlich respektvoll und höflich sein will, muss man manchmal etwas mehr Aufwand betreiben", glaubt Wengeler. Er plädiert dafür, auf die Gruppen, die von abwertendem Sprachgebrauch betroffen sind, Rücksicht zu nehmen. "Das ist nicht zu viel verlangt, darüber nachzudenken und sprachsensibel zu handeln."

Und wenn man Menschengruppen sprachlich abwertet, erscheint es dann nicht auch legitimer und einfacher, gewalttätig gegen diese vorzugehen? In der Asyldebatte wurde immer wieder darüber diskutiert , inwieweit Sprache auch die rassistischen Übergriffe der damaligen Zeit befeuert hat, zum Beispiel 1992 in Rostock-Lichtenhagen.

Aktuelle Unwörter

Und heute? Welche Begriffe werden heute zur Ausgrenzung genutzt? Wengeler kennt einige Beispiele: Armutsflüchtlinge, Armutszuwanderung oder Sozialtourismus. "Diese Begriffe werden genutzt, um den Menschen legitime Fluchtgründe abzusprechen", sagt der Wissenschaftler.

Dabei sei Armutsflüchtling in den 80er Jahren noch als Gegenbegriff zu Wirtschaftsflüchtling und Scheinasylant genutzt worden. Damals hieß es, man sollte Armutsflüchtling sagen, weil man an dem Wort sehen könne, dass die Menschen legitime Gründe haben, zu fliehen. Nämlich Armut. "Heute heißt es im Subtext: Wenn sie aus Armut fliehen, dann wollen sie an unserem Reichtum teilhaben und unsere Sozialsysteme ausnutzen."

Wann welcher Begriff semantisch Konjunktur hatte, daran lassen sich Vorurteile ablesen. Dem Türkenproblem in den 1980ern folgte das Asylantenproblem Anfang der 1990er und seit Mitte der 1990er Jahre ist vom Flüchtlingsproblem die Rede. Der Wandel des Vokabulars spiegelt dabei auch Einstellungen wider, die innerhalb der Gesellschaft existieren.

Wörter können auch als Symbole mit Integrationskraft wirken. Spannend ist zum Beispiel die Diskussion über die gerade entstehende deutsche Migrationsgesellschaft. Wie nennen wir sie zukünftig? Melting Pot, Vielvölkerstaat, Einwanderungsland?

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2262201
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.