Süddeutsche Zeitung

SPD streitet über Russland:Heiliger Egon

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In der SPD streiten aktive sowie legendäre Außenpolitiker über Russland. Jede Seite verlangt eine rationale Sicht, und jede versteht darunter etwas anderes.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Egon Bahr möchte gern noch eine rauchen. Es soll gleich losgehen, aber so viel Zeit muss sein, also verschwindet er noch mal schnell oder jedenfalls so schnell, wie seine 92 Jahre das erlauben. Also erstaunlich schnell. Danach kann's losgehen.

Dienstag, früher Nachmittag, die Parlamentarische Linke in der SPD-Bundestagsfraktion hat zum Mittagstisch geladen, Egon Bahr ist zu Gast. Eine Themenvorgabe hat er nicht bekommen, aber worüber sonst als Russland, die Ukraine und die Welt sollte man mit jenem Mann reden, der so maßgeblich die einst von Willy Brandt eingeleitete Ostpolitik mitgestaltet hat? Wandel durch Annäherung, so lautete der Leitgedanke, und ziemlich genau das ist es auch, was Bahr vor den Abgeordneten und sonstigen Gästen als Rezept für die aktuelle Situation empfiehlt: "Die Sanktionsspirale ist der Rückfall in den Kalten Krieg, der nicht heiß werden soll", sagt er.

Rückfall in den Kalten Krieg? Durch Sanktionen? Was der Sozialdemokrat Bahr da vorträgt, widerspricht klar jener Politik, die der Sozialdemokrat Frank-Walter Steinmeier als Außenminister vertritt. Damit wirft Bahr ein Schlaglicht auf einen Konflikt, der die SPD derzeit beschäftigt.

Viele Deutsche bringen einiges an Verständnis für Putins aktuelles Handeln auf, und in den Parteien ist das nicht anders - auch bei deren Spitzenpersonal nicht. In der Union etwa tragen die Russland-Kritiker und die Gegenfraktion der so geschmähten "Russland-Versteher" ihre Differenzen schonungslos aus, doch für die SPD ist die Situation noch einmal eine besondere.

Den Sozialdemokraten haftet seit jeher der Ruf an, im Zweifel zu viel Verständnis für Russland aufzubringen - und zuletzt haben ein paar verdiente Herren noch mal viel dafür getan, diesen Ruf nur ja nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Da war vor allem Altkanzler Gerhard Schröder. Der hat zwar womöglich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin auch über die inzwischen freigelassenen Militärbeobachter geredet, als sie noch von prorussischen Milizionären festgehalten wurden. Hängen blieb aber, dass er Putin umarmte. Da war der noch ältere Altkanzler Helmut Schmidt, der Putins Vorgehen auf der Krim "durchaus verständlich" fand.

Da war Erhard Eppler, einst Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, der um Verständnis für die Putin-Versteher warb. Und da ist Bahr, der weniger Konfrontation fordert, weil das mit der Sowjetunion auch funktioniert habe. In seinem Vortrag bei der Parlamentarischen Linken verteidigt er Schröder: "Über die verspätete Feier zu seinem 70. Geburtstag mit Putin können wir froh sein."

Zudem habe Schröder mit seinem Nein zum Irak-Krieg und dem späteren (umstrittenen) Engagement für die Ostsee-Pipeline "die Emanzipation Deutschlands von Amerika vorgenommen". Zugleich stellt die SPD nicht nur den Außenminister, der die Haltung von EU und Nato vertritt, sondern auch den Russland-Beauftragten der Bundesregierung: Gernot Erler, 70.

"Wer hat den Status quo eigentlich in Frage gestellt?"

Der steht bei Russland-Kritikern eigentlich im Verdacht, Moskau zu wohlgesonnen zu sein. Doch als Bahr mit seinem Einleitungsreferat fertig ist, sagt Erler: "Wer hat den Status quo eigentlich infrage gestellt? Man muss sagen, dass das Russland war." Auch Rolf Mützenich, als stellvertretender Fraktionschef für die Außenpolitik zuständig, will zwar offensichtlich nicht allzu klar der Institution Bahr widersprechen. In seinen Anmerkungen zu dessen Referat macht er aber deutlich, dass er die Dinge ein wenig differenzierter sieht.

Will man es ganz grob einteilen, dann bringen die jüngeren Politiker weniger Verständnis für Russland auf als ihre Vorgänger. Mützenich zählt dazu (obwohl er auch schon 54 ist), ebenso der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Niels Annen, 41. Und Hans-Peter Bartels, 53, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, sagt es so: "Es gibt in unseren Reihen teilweise eine Entspannungspolitik-Romantik nach dem Motto: So haben wir doch viel erreicht." Das stimme ja auch, sei aber Vergangenheit. Auch Russland orientiere sich nicht mehr daran, was im Kalten Krieg war, sondern an der Gegenwart. "Und wenn mir Leute erzählen, es sei alles rational, was Russland macht, dann sollen die mir mal erklären, was in zwei Wochen sein wird."

Klarer kann man Bahr kaum widersprechen, der Putin am Freitag in der Berliner Zeitung einen "rationalen Menschen" nennt. Doch Bartels ist bei der Diskussion am Dienstag nicht da - anders als Andrea Wicklein. Die Brandenburger Abgeordnete fragt Bahr, wo sie sich denn mal möglichst objektiv über die Krise informieren könne - die hiesigen Medien zeichneten doch "ein sehr einseitiges Bild". Sie habe das Gefühl, dass die Informationen "gesteuert werden".

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SZ vom 10.05.2014
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