Süddeutsche Zeitung

Sozialdemokraten:Die SPD hat weder Kraft noch Zentrum

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Der Erfolg in Hamburg ändert wenig an der Not der Partei, den Vorsitzenden fehlt noch immer die Autorität. Doch eine Chance hat die SPD noch.

Kommentar von Mike Szymanski, Berlin

Die chaotischen Tage in der CDU verschaffen der SPD eine Verschnaufpause. Zur Abwechslung ist es die politische Konkurrenz, die sich auf großer Bühne im Machtkampf um die Führung zu zerlegen droht. Der Erfolg in Hamburg, wo der Erste Bürgermeister Peter Tschentscher bewiesen hat, dass die SPD noch Wahlen für sich entscheiden kann, trägt angenehm dazu bei, für einen Moment die eigenen Probleme vergessen zu machen.

Tatsächlich sieht es aber auch düster für die SPD aus. Seit Dezember wird die Partei von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans geführt. Die Machtfragen sind in der SPD damit aber keineswegs geklärt: Weder Esken, die bis dahin vielen unbekannte Politikerin aus der Bundestagsfraktion, noch Walter-Borjans, der frühere NRW-Finanzminister, vermögen jene Autorität zu entfalten, die eine Partei dringend bräuchte, um Ergebnisse jenseits der 20 Prozent anzupeilen. Der große Unterschied zu ihren Vorgängern, wie erfolgreich auch immer diese am Ende waren, ist dieser: Noch nie dürfte eine Parteispitze so machtlos ins Amt gestartet sein.

Es verwundert deshalb kaum, dass die Partei in den Umfragen weiterhin bei traurigen 14 bis 15 Prozent festgenagelt zu sein scheint. Gesteuert wird die Partei derzeit auch keineswegs aus dem Willy-Brandt-Haus.

Ihr Versprechen, die Groko zu beenden, haben die neuen Chefs gebrochen

Ohne die tatkräftige Hilfe aus Regierung und Fraktion hätten die beiden Neuen an der Spitze die SPD kaum durch die turbulenten Wochen lotsen können. Darin liegt eine gewisse Ironie, denn es waren Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die im Wahlkampf um den Vorsitz versprachen, künftig das neue Kraftzentrum der SPD bilden zu wollen. Heute hat die SPD aber weder viel Kraft, noch hat sie ein klares Zentrum.

Die neue Spitze trägt seit dem Tag ihrer Wahl ein Glaubwürdigkeitsproblem mit sich: Sie hatte den Anschein erweckt, aus der ungeliebten großen Koalition auszusteigen, wenn sich nicht grundlegend etwas ändert. Aber die Groko macht weiter, als wäre nichts geschehen. Sie streitet, sie findet Kompromisse. Und die sie tragenden Partner beschäftigen sich mit sich selbst, jetzt ist es halt die CDU.

Esken und Walter-Borjans werden der SPD kaum mehr zum Aufschwung verhelfen können. Die wichtigste Frage, die sich ihnen damit demnächst stellt, ist diese: Wer führt die Partei mit ihnen an der Seite als Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat in die nächste Bundestagswahl? Diese Personalie entscheidet darüber, ob sich die SPD noch einmal zurückmelden kann. Bei der Bundestagswahl ist tatsächlich alles offen, denn Angela Merkel tritt nicht mehr für die Union an.

Würde Scholz Kanzlerkandidat, wäre das eine sagenhafte Volte

Ob sich die SPD dieser Chance wirklich bewusst ist? Zweifel sind angebracht. Denn im Moment ist es vor allem eine Person, die sich in der Rolle des Kanzlerkandidaten sieht: Finanzminister Olaf Scholz. Im Wettbewerb um den Parteivorsitz war er Esken und Walter-Borjans unterlegen. Es wäre schon eine sagenhafte Volte, würde er die beiden auf diesem Weg doch noch besiegen. Aber geht es auch ohne das ganz große Drama?

Gewiss, dann aber müsste die Partei weiterdenken. Eine Politik, die mehr die Menschen als die Befindlichkeiten der Partei im Blick hat, verkörpert nicht nur der ehrgeizige Scholz. Diese andere Person ist zudem mit der Gabe ausgestattet, Menschen für sich begeistern zu können. Diese Person heißt: Franziska Giffey.

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SZ vom 27.02.2020
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