Süddeutsche Zeitung

SPD:Müller fordert "solidarisches Grundeinkommen"

Lesezeit: 3 min

Von Hannah Beitzer, Berlin

Platz drei hinter der Linken. Das schmerzte nach der Bundestagswahl und schmerzt heute noch, wo Umfragen zeigen: Die SPD in Berlin ist weit unten angekommen. Gerade einmal 17,9 Prozent erhielt sie bei der Bundestagswahl in der Hauptstadt - in der sie immerhin den Regierenden Bürgermeister stellt. Zur Übernahme der Bundesratspräsidentschaft meldet sich nun Michael Müller im Tagesspiegel mit ein paar Ideen zur sozialen Gerechtigkeit zu Wort - die auch als Beitrag zur parteiinternen Debatte um das miserable Wahlergebnis der SPD zu verstehen sind.

Müller beschäftigt sich darin mit den schon sprichwörtlichen "Ängsten" der Bürger. Und der Frage, wie die SPD den Bürgern wieder mehr Sicherheit geben könnte. "An dieser Stelle geht es nicht, wie jetzt manche vermutlich glauben, um Videoüberwachung, Gesichtserkennung und Bewegungsmuster", schreibt er. "Es geht vielmehr um die mögliche soziale Unsicherheit einer vierten industriellen Revolution - also die Veränderungen von Arbeit 4.0."

Einfache Tätigkeiten fallen weg

Studien gingen davon aus, dass neun Prozent der Arbeitsplätze in den OECD-Ländern automatisiert werden könnten, 25 Prozent könnten sich massiv verändern. "Viele Berufe wird es in einigen Jahren nicht mehr geben. Vor allem einfache Tätigkeiten werden wegfallen", schreibt der Regierende Bürgermeister. Er fordert eine Verbesserung der digitalen Bildung, der Teilhabe - darauf könnte er sich von der Linken bis hin zur FDP wohl mit jeder Partei einigen.

Am meisten Aufsehen erregt Müller mit einer Forderung, die jene betrifft, die trotz aller Bemühungen im neuen, hochspezialisierten Arbeitsmarkt keinen Fuß auf den Boden kriegen. Für sie bringt er die Idee eines "solidarischen Grundeinkommens" ins Spiel. Das sollen Menschen erhalten, die sich ehrenamtlich um Senioren kümmern, bei Alleinerziehenden babysitten, Parks pflegen oder Flüchtlingen helfen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, wie es immer wieder diskutiert wird, lehne er hingegen ab.

Der Gastbeitrag greift einige Punkte auf, für die die SPD schon seit Jahren in der Kritik steht. Da ist zum einen der Vorwurf, die traditionsreiche Arbeiterpartei SPD habe es verpasst, sich mit den Auswirkungen und Gefahren der Digitalisierung für den Arbeitsmarkt zu befassen. Stattdessen habe sie Besitzstandswahrung für ihre Kernklientel betrieben, zum Beispiel die Rentner.

In der Tat wurde bei der Bundestagswahl deutlich, dass vor allem ältere Leute SPD wählen. Was nicht zu ihrem eigenen Anspruch als Fortschrittspartei passt.

Und ein Teil der alten Kernklientel nimmt der SPD immer noch die Hartz-IV-Reformen übel. An sie richtet sich das Angebot eines solidarischen Grundeinkommens. Die Gesellschaft dürfe sich nicht damit abfinden, dass Kinder in die Langzeitsarbeitslosigkeit hineinwachsen, dass Menschen komplett aus dem System fallen. "Wieso finanzieren wir den Ausschluss aus der Gesellschaft, anstatt uns um die Teilhabe zu bemühen?", fragt der Regierende Bürgermeister. "Wieso machen wir mit dem vielen in Sozialetats veranschlagten Geld aus den verwaltenden Arbeitsagenturen nicht endlich "Arbeit-für-alle-Agenturen"?"

Müller fordert mit dem "solidarischen Grundeinkommen" einen zweiten Arbeitsmarkt für gemeinnützige Jobs, und das zu "fairer Entlohnung". Dafür möchte er Geld in die Hand nehmen - anstatt weiterhin mit viel Aufwand Arbeitslosigkeit zu verwalten.

Arbeit ist für die SPD identitätsstiftend

In seinen Ausführungen wird auch deutlich, warum das bedingungslose Grundeinkommen bei der SPD so wenig Anklang findet. Es sei seine "feste sozialdemokratische Überzeugung, dass Arbeit der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe" sei, schreibt Müller - und steht damit ganz in der Tradition der stolzen Arbeiterpartei, für die Arbeit mehr ist als nur Broterwerb. Nämlich identitätsstiftend.

Müller ist nicht der einzige SPD-Vordere, der in diesen Tagen die ganz großen Themen bemüht. Fraktionschefin Andrea Nahles zum Beispiel erklärte unlängst den "digitalen Kapitalismus" zum Problem, Parteichef Martin Schulz forderte "Mut zur Kapitalismuskritik" während Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz im Gegensatz zu seinem Vorsitzenden einen pragmatischen Kurs anmahnte.

Nun also Müller. Interessant ist, wovon in seinem Beitrag nicht die Rede ist. Von Sanktionen zum Beispiel, die fester Bestandteil des Hartz-IV-Systems sind - und die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass der Agenda-2010-SPD ein Ruf der sozialen Kälte anhaftete. Kein Wunder, dass Müller umgehend Zuspruch aus der Linkspartei erhält, die in ihrer heutigen Form aus Widerspruch zu den Hartz-IV-Gesetzen entstand. Und die sich nun in Berlin für den Regierenden Bürgermeister zu einem echten Konkurrenten auswächst.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3730294
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.