Süddeutsche Zeitung

SPD:Fehlstart in den Neustart

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Die Sozialdemokraten hadern weiter mit ihrer Rolle in der großen Koalition: Für viele fühlt sie sich an wie ein Weiter-so. Und manche reden sogar schon das Ende der Regierung herbei.

Von Mike Szymanski, Berlin

Andrea Nahles muss die Brille abnehmen, die Tränen sind ihr gekommen. So vergnügt geht es an ihrem Stehtisch am Donnerstagabend in der hessischen Landesvertretung in Berlin zu. Es ist Apfelweinanstich der hessischen Parteifreunde. Nahles kann eine Auszeit vom Berliner Politikbetrieb da draußen gerade gut gebrauchen. "Wo ist der Äppelwoi, Leute?"

Die Haushaltswoche im Parlament neigt sich dem Ende zu. Und ihr, der neuen Parteichefin der SPD und Fraktionsvorsitzenden, ist endlich einmal etwas geglückt. Sie hat dem CSU-Provokateur Alexander Dobrindt erklärt, dass sein Gerede von der Anti-Abschiebe-Industrie dem Land schade. Sie hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) klargemacht, dass sie gar nicht die Hand bei Finanzminister Olaf Scholz (SPD) aufzuhalten braucht, solange sie es nicht schafft, bewilligtes Geld auszugeben. Es war ihr kleiner Hier-ist-Schluss-Auftritt. Es war genau das, was ihre Leute hören wollten.

Zwei Monate ist die neue große Koalition jetzt alt. Gemessen an den Erwartungen in den eigenen Reihen lässt sich festhalten: Die SPD hat einen Fehlstart hingelegt. Ein Weiter-so wie in der vergangenen Legislatur werde es nicht geben, hatten die Befürworter der großen Koalition um Nahles beteuert. Aber dann fühlte es sich doch wieder sehr nach Weiter-so an. Wenn Finanzminister Scholz die Vorzüge seines ersten Haushalts herausstellt, klingt er gar nicht so anders als damals sein Vorgänger Wolfgang Schäuble von der CDU. Und wer gibt eigentlich vor, wo die Regierung hin will? Wer ist Bestimmer? Die SPD fiel nicht in dieser Rolle auf.

Jene in der Partei, die meinten, die Neuauflage von Schwarz-Rot bedeute den Untergang für die SPD, fühlen sich bestätigt. In den Umfragen ist die SPD zwischenzeitlich noch weiter abgerutscht. Neulich sah ein Umfrageinstitut die SPD bei nur noch 16 Prozent. In solchen Momenten fährt es vielen Sozialdemokraten eiskalt in die Knochen. Es ist längst ein Existenzkampf, den die Sozialdemokratie führt. Selten war ein Übergang an der Parteispitze mit so viel Schmerz für die Partei verbunden wie der von Martin Schulz zu Andrea Nahles. Schlimmer noch: Stand jemals so viel Misstrauen und Enttäuschung schon am Anfang einer neuen Zeit wie jetzt unter Nahles und Vizekanzler Scholz? Das Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen vom Freitag vermeldete immerhin 20 Prozent.

Die große Koalition ist in der SPD verhasst. Der Mitgliederentscheid darüber, der mit 66 Prozent zugunsten einer Neuauflage ausging, hat die Partei nicht befriedet. Das zeigte auch die Wahl von Nahles an die Parteispitze vor drei Wochen - da erhielt sie als Befürworterin auch nur 66 Prozent der Stimmen der Delegierten. Neu ist, dass auch die Stimmung in der Fraktion zu kippen droht, die sich besonders für die große Koalition eingesetzt hatte. "Es herrscht große Unruhe. Auch in der Fraktion. Viele sehen den Mehrwert ihres Eintretens für den Koalitionsvertrag noch nicht", erzählt Fraktionsvize Rolf Mützenich. Nahles' Auftritt im Bundestag hat ihm gefallen. Davon will er mehr sehen. "Die Fraktion muss auch Stachel im Fleisch der Regierung sein", sagt er. Sorgen bereitet ihm aber, dass sich die Groko-Gegner kaum mehr einbinden ließen.

Juso-Chef Kevin Kühnert, der den Widerstand gegen die Groko angeführt hatte, hat Finanzminister Scholz am Freitag heftig angegriffen. Dessen Vorstellung des Haushaltsentwurfs im Bundestag sei missglückt. Nicht rot genug. "Das war kommunikativ ganz alte Schule. Und leider weit von einer neuen SPD entfernt." Der Streit ist zurück. Mützenich sagt: "Ich beobachte, dass sich die Gegner der großen Koalition aus den Debatten zurückziehen. Leute, die sagen, es bringt nichts." Aber das wäre fatal. Das wäre ein Bruch mit immerhin einem Drittel der SPD-Anhänger. Mützenich sieht die Groko-Gegner geradezu in der Pflicht, der Partei aus der Not zu helfen: "Ich erwarte, dass sie stärker zu unserem Profil beitragen. Das wäre ein Gewinn für die SPD."

Aber schon reden die ersten in der Partei das vorzeitige Ende der großen Koalition herbei. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, die Regierungsarbeit nach zwei Jahren zu bewerten. Ein Notausgang? Matthias Miersch, Chef der Parlamentarischen Linken, sagte der Zeitschrift Der Spiegel: "Wenn Provokationen einzelner Akteure nicht aufhören und die Ziele des Koalitionsvertrags nicht konsequent abgearbeitet werden, kann das im nächsten Jahr für die gesamte Koalition ernste Folgen haben." Nahles kann das kaum recht sein. Sie will die SPD-Projekte aus dem Koalitionsvertrag in der Regierung umsetzen. Das Schlimmste, was ihr passieren kann, ist, im nächsten Jahr mit leeren Händen dazustehen.

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SZ vom 19.05.2018
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