Süddeutsche Zeitung

Anklage im Mordfall Kuciak:"Wir brauchen Urteile und Strafen"

Lesezeit: 3 min

Von Viktoria Großmann, München

Der Auftragsmörder hat gestanden. Nun konnte offiziell Anklage erhoben werden gegen den Mann, der den Mord an dem 27-jährigen Journalisten Ján Kuciak bestellt und bezahlt hat. Der Mordfall Kuciak hatte im Februar 2018 die Slowakei erschüttert. In 30 Jahren seit der Sanften Revolution hat sich ein neuer Filz breit gemacht.

Nun wird der Unternehmer Marián Kočner wegen Mordes vor Gericht stehen. Am Pranger aber steht die gesamte Elite des Landes: Staatsanwälte, Richter, Polizisten, Beamte. Mittendrin: Ex-Premier Robert Fico, Vorsitzender der regierenden sozialdemokratischen Smer SD. Infolge der Ermittlungen scheint sich nun sogar ein 14 Jahre zurückliegender Korruptionsskandal zu klären. Auch hier führen die Spuren direkt zu Kočner und Fico.

In Kočners Wohnung wurden Tonbandaufnahmen gefunden, die der Schlüssel in einem größten Bestechungsfälle der Slowakei sind. Der Geheimdienst hatte Gespräche zwischen dem Chef einer Finanzgruppe mit Ministern, Beamten, Aufsichtsräten abgehört. Darunter der damalige Premier Fico. Man half sich gegenseitig beim Geschäftemachen und Umgehen der Gesetze.

2011 wurden den Medien Protokolle der abgehörten Gespräche zugespielt und veröffentlicht. Viele Menschen gingen auf die Straße und forderten Konsequenzen. Doch diese blieben aus. Die Tonbandaufnahmen waren verschwunden, der Mitarbeiter des Geheimdienstes, der die Ermittlungen veranlasst und geleitet hatte, wurde entlassen. Betroffene erklärten, die Protokolle seien gefälscht. Nun sind die 39-stündigen Tonbandaufnahmen aufgetaucht, sie belegen die Echtheit der Protokolle. Kočner hatte sie offenbar vom damaligen Generalstaatsanwalt erhalten.

"Was wir jetzt sehen, ist erst die Spitze des Eisbergs", sagt der Rechtsanwalt Daniel Lipšic. Als Anwalt der Nebenklage vertritt er die Familie Kuciak. Lipšic hatte selbst auf Kočners Todesliste gestanden. Laut den in slowakischen Medien veröffentlichten Ermittlungsakten ließ Kočner eine Reihe von Journalisten und Juristen ausspionieren - mit Hilfe der Polizei. Und er hatte weitere Morde geplant.

"Ich bin überrascht, wie stark sein Netz war", sagt Monika Tódová. Die Journalistin kannte Ján Kuciak. Seit dem Mord erforscht die 37-Jährige die Hintergründe der Tat. In den Protokollen Hunderter Kurznachrichten, die ihrer Redaktion zugespielt wurden und die zeigen, mit wem Kočner alles in engem Austausch stand, fand Tódová auch ihren eigenen Namen. "Vielleicht fällt sie irgendwann einfach mal eine Treppe herunter", schrieb Kočner an eine Vertraute. Tódová versucht, das nicht persönlich zu nehmen. "Es ging um uns alle." Der Hass habe sich grundsätzlich gegen Journalisten gerichtet. "Er wollte die Redefreiheit beenden."

Kuciak hatte Nachforschungen angestellt zu EU-Subventionen, die in Scheinfirmen versickert waren und zu jenem mafiösen System, in dem Kočner wie eine Spinne im Netz saß. Die deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik warnte davor, dass der Staat auf dem Wege sei "von Korruption und organisierter Kriminalität übernommen" zu werden.

Die tschechische Investigativjournalistin Pavla Holcová hat gemeinsam mit Kuciak zur Mafia recherchiert. So langsam, sagt sie, interessiere sich auch die Polizei für dieses Netzwerk. Demnächst reist Holcová zu einer Konferenz nach Bratislava, die sich mit Strategien zur Bekämpfung der Mafia beschäftigen wird. Ein Hoffnungszeichen.

Von vielen wird der Mord an Kuciak heute als Weckruf verstanden. Die Bevölkerung ging auf die Straße, Rücktritte des Premiers, mehrerer Minister und des Polizeipräsidenten folgten. "Rücktritte reichen nicht", sagt Tódová. "Wir brauchen Urteile und Strafen." Doch sie schätzt die Unterstützung der Öffentlichkeit. Täglich veröffentlicht Tódová mit ihren Kollegen in der Online-Tageszeitung Denník N neue Details. Die Zahl der Abonnenten sei gewachsen, die Solidarität vieler Leute mit den Journalisten sei groß. "Die Gesellschaft hat sich emanzipiert", sagt Pavla Holcová. Sie fordere deutlich ihre Rechte ein und dringe auf mehr Transparenz.

Sowohl Anwalt Lipšic als auch die Journalistinnen Tódová und Holcová würden sich schnellere Ermittlungen wünschen. Trotzdem beteuern alle, dass sie - heute - den Institutionen vertrauen. "Kočner wird eine gerechte Strafe bekommen", sagt Lipšic.

Das Unrechtsbewusstsein aber erscheint bei vielen, die nun mit Kočner in Verbindung gebracht werden, gering. Robert Fico reagiert gewohnt mit Angriffen auf die Presse. Beschuldigte Beamte halten an ihren Positionen fest, werden bestenfalls für die Dauer der Ermittlungen suspendiert. In Umfragen bleibt die Smer SD mit 22 Prozent noch immer stärkste Kraft.

Neue Parteien wollen gegen Korruption vorgehen

Doch neue Parteien bringen sich in Stellung. In weniger als vier Monaten ist Parlamentswahl. Holcová nennt es ein "Referendum" über die Zukunft der Slowakei. Wachsende Zustimmung erfährt die erst im September gegründete Partei von Andrej Kiska. Er war bis Juni Präsident des Landes - beliebt und der Korruption unverdächtig. Nun will er mit seiner Partei "Für das Volk" und einem blumig formulierten Programm gegen die Elitenwirtschaft und für Gerechtigkeit für alle Slowaken eintreten.

Die Bewegungen "Gemeinsam" und "Progressive Slowakei", aus der die neue Präsidentin Zuzana Čaputová als Kandidatin hervorging, haben sich im Kampf gegen die Korruption zusammengetan und treten zusammen zur Wahl an.

"Kočner ist nicht der einzige Wirtschaftskriminelle", sagt Lipšic. Freunde und Helfer sind vielleicht noch irgendwo im Amt. "Auch deshalb versuchen wir weiterhin, alle von Kočners Verbindungen offen zu legen", sagt Tódová. Damit das Netz irgendwann in sich zusammenbricht und der Weg frei ist, für einen Neubeginn.

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SZ vom 11.11.2019
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