Süddeutsche Zeitung

Siedlungsbau in Jerusalem:Schlag gegen den Friedensprozess

Lesezeit: 2 min

Israels Premier Netanjahu lässt weiter Siedlungen bauen. Wer darin einen Schlag gegen den Friedensprozess sieht, liegt richtig. Wer sich darüber wundert, ist naiv. Denn Netanjahu hat immer eine Politik vorangetrieben, die Fakten schafft - und er weiß, dass ihm zurzeit niemand mehr in den Arm fallen kann. Das liegt auch an der schwachen Position von US-Präsident Obama.

Peter Münch

Frieden ist ein schöner Traum, aber die Friedenssuche kann sehr leicht zum Albtraum geraten. Seit Jahrzehnten schon verschleißt der nahöstliche Verhandlungsprozess seine Vermittler und entnervt die mächtigsten Präsidenten - trotzdem finden sich stets Aspiranten, die einen neuen Anlauf wagen.

Im Zweifel gilt auch in der Diplomatie das Motto, dass die Show weitergehen muss. Angetrieben davon hatte sich nun in New York das sogenannte Nahost-Quartett daran gemacht, Israelis und Palästinensern einen Weg zum Frieden zu weisen. Doch in all der kräftig geschürten Aufbruchshoffnung wurde wohl vergessen, dass es jenseits von Show und gutem Willen in der Politik vor allem auf Interessen ankommt. Und das Interesse an einem Friedensschluss ist derzeit bei den Vermittlern eindeutig stärker ausgeprägt als bei den Protagonisten in der Region.

Die israelische Seite hat nun bereits einen ersten Beweis dafür geliefert mit der Ankündigung neuer Siedlungsbauten im arabischen Ostteil von Jerusalem. Wer darin einen Verstoß gegen den Geist der Quartett-Erklärung und einen Schlag gegen den Friedensprozess sieht, der liegt richtig. Wer sich darüber wundert, der ist naiv. Denn jenseits seiner friedensbewegten Rhetorik hat Premierminister Benjamin Netanjahu immer eine Politik vorangetrieben, die Fakten schafft. Mittlerweile weiß er, dass ihm dabei niemand mehr in den Arm fallen kann. Bis zu den US- Präsidentschaftswahlen Ende nächsten Jahres ist von Barack Obama nichts mehr zu erwarten, danach hofft Netanjahu auf eine republikanische Schutzmacht im Weißen Haus. Fazit: Israels Premier sieht derzeit keinerlei Grund, Kompromisse zu schließen, die für ihn schmerzhaft und obendrein innenpolitisch bedrohlich sind.

Nicht viel anders sieht es im Lager der Palästinenser aus. Gewiss, das Interesse am eigenen Staat ist groß, und Präsident Mahmud Abbas und die Seinen tun auf allen Ebenen bemerkenswert viel dafür, diesen Staat aufzubauen. Das Interesse an einem mühsamen Friedensprozess aber ist zurzeit weit weniger deutlich zu erkennen. Denn ebenso wie für die Israelis würde auch für die Palästinenser ein Friedensschluss Verzicht bedeuten - in ihrem Fall vor allem auf das geheiligte Rückkehrrecht für Flüchtlinge. Bislang hat es noch kein palästinensischer Führer gewagt, sein Volk darauf einzustimmen. Abbas vermittelt vielmehr mit dem Gang zur UN, dass es den Staat auch ohne den Verzicht aufs Rückkehrrecht geben könne. Die Popularität, die ihm das zu Hause und in der gesamten arabischen Welt bringt, wird er nun erst einmal genießen - und nicht aufs Spiel setzen wollen durch ein erneutes Einknicken vor westlichen Wünschen und Drohungen.

Wie angesichts dieser Lage das Nahost-Quartett einen Friedensschluss bis in einem Jahr erwarten konnte, bleibt ein Geheimnis. Doch vielleicht spricht daraus nur die Verzweiflung der Vermittler. Das immerhin wäre nachvollziehbar.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1151855
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.09.2011
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.