Süddeutsche Zeitung

Klimawandel und Justiz:Der Anwalt, vor dem die Konzerne zittern

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Niederländische Umweltschützer wollen Shell zwingen, seinen CO₂-Ausstoß um fast die Hälfte zu senken. Vertreten werden sie durch den Juristen Roger Cox, einem Pionier der Klimaklage.

Von Thomas Kirchner, München

An diesem Mittwoch könnte in den Niederlanden ein historisches Urteil zum Klimaschutz fallen. Ein Gericht in Den Haag befindet über eine Klage gegen Shell. Die Umweltorganisation Milieudefensie und andere Vereine fordern von Europas größtem Ölkonzern, seinen Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 45 Prozent zu senken. Sollte das Gericht der Klage stattgeben, wäre es das erste Mal, dass ein Unternehmen zu einem solchen Schritt gezwungen würde. Das könnte zum Präzedenzfall für Konzerne im Rest Europas werden. Vertreten werden die Kläger von Roger Cox. Der 53-jährige Niederländer ist ein Pionier der Klimajustiz, also der Idee, den Kampf gegen den Klimawandel vor Gericht zu führen. Cox war auch Anwalt der Organisation Urgenda, der es 2015 mit einer Klage gelang, den niederländischen Staat zur Einhaltung seiner selbstproklamierten Klimaziele zu zwingen.

SZ: Wie sind Sie auf diesen Weg gekommen? Stimmt es, dass Al Gore am Anfang steht?

Cox: Sein Dokumentarfilm "Eine unbequeme Wahrheit" öffnete mir 2006 tatsächlich die Augen für die Dringlichkeit des Klimawandels. Ich arbeitete mich danach immer mehr ein in das Thema.

Dachten Sie da schon an Klagen?

Nein, zunächst handelte ich eher wie ein besorgter Bürger. Ich kämpfte dafür, dass Gores Film in allen Kinos des Landes gratis zu sehen war. Ich begann zum Thema Kreislaufwirtschaft zu arbeiten, auch bei dem "Cradle to Cradle Products Innovation Institute", das von dem deutschen Chemiker Michael Braungart mitgegründet wurde. Es ging um Bewusstseinsschaffung. Mir wurde klar: Über die Gefahren des Klimawandels ist alles bekannt. Experten wissen es, Politiker, Firmen, es gibt Klimaverträge. Aber es passiert nichts. Da habe ich mir überlegt, wie man das Recht vielleicht als Hebel für eine schnellere Energiewende nutzen könnte.

Welches Recht denn?

Umweltrecht hätte nahegelegen. Aber da geht es hauptsächlich darum zu verhindern, dass wir uns gegenseitig durch Verschmutzung oder Ähnliches umbringen, also um den Status quo. Braungart würde sagen: Diese Regeln begrenzen nur den Schaden, mehr nicht. Internationales Recht wiederum gilt vor allem zwischen Staaten, für Bürger ist es kaum zu nutzen.

Was bleibt dann?

Ich dachte: Wenn die Wissenschaft richtig liegt, geht es um die bisher größte Bedrohung der Menschheit, also um Menschenrechtsverletzung. So kam ich auf die Idee, die Menschenrechte sowie das Haftungs- und Deliktsrecht für eine grüne Revolution einzusetzen. Das beschrieb ich 2011 in einem Buch. Zusammen mit der Urgenda-Stiftung haben wir es dann ausprobiert - und gewonnen. Später kamen der Fall Shell hinzu, und eine ähnliche Klage in Belgien, über die Anfang Juli entschieden wird.

Das niederländische Recht ermöglicht Verbandsklagen auch in Zivilverfahren. Daher ist die Frage der Zulässigkeit ein geringeres Problem als anderswo. Ist das Land deshalb so weit vorn?

Es steckt auch einiges strategisches Denken dahinter. Zum Beispiel haben wir uns gezielt nur auf die Erkenntnisse des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) bezogen. Wir wussten, dass die Richter die ersten Dokumente, die wir vorlegten, wahrscheinlich für zu krass hielten. Wir wussten aber auch, dass die Regierung die IPCC-Einschätzungen bestätigen musste, und dass die Richter uns dann glauben und schockiert sein würden. Die meisten Menschen wissen wenig über die schrecklichen Details des Klimawandels. Als wir mit dem Urgenda-Fall anfingen, war klar, dass die Richter unser Anliegen für vielleicht sympathisch, aber ziemlich weit hergeholt halten würden. Wir mussten zeigen, dass es wahr ist, was wir behaupten, um nicht nur ihren Kopf, sondern auch ihr Herz zu erreichen. Damit sie wirklich zuhören und sich öffnen für unsere Vorschläge.

Aber Sie sind nicht der Einzige, der solche Klagen führt.

Nein, ich bin in engem Kontakt mit anderen Pionierinnen: Julia Olson und ihrem "Our Children's Trust" in den USA. Oder Roda Verheyen, die hinter ähnlichen Klagen in Deutschland steht und maßgeblich zum spektakulären Urteil des Bundesverfassungsgerichts Ende April beitrug. Demnach ist Klimaschutz ein Menschenrecht.

Haben Sie das Urteil erwartet?

Ja. Mit dem Zusammenspiel von Menschenrechten und Haftungsrecht lassen sich diese Fälle in vielen Ländern voranbringen. Es gab jetzt auch in Frankreich und Irland entsprechende Entscheidungen. Die Gerichte erkennen die desaströsen Folgen einer Erwärmung um mehr als "deutlich unter zwei Grad", wie es im Pariser Abkommen heißt. Sie würde unser Recht auf Leben, Wohlergehen, auf Ernährung und Wasser stark beeinträchtigen. Und darauf haben sich von 1992 an ja nicht Gerichte, sondern alle Staaten der Welt gemeinsam verständigt.

Selbst wenn Sie gegen Shell verlieren, wird die Öffentlichkeit viel lernen. Zum Beispiel, dass Shell intern schon vor 1992 die Gefahren des Klimawandels bewusst waren.

Sie wissen es seit Jahrzehnten. Auch deshalb werden die Richter das Unternehmen wahrscheinlich nicht so leicht davonkommen lassen.

Shell und viele andere sagen, diese Frage müsste von der Politik geklärt werden.

Wurde sie ja. Es gibt seit 1992 einen weltweiten politischen Konsens über diese Frage, seit etwa einem Jahrzehnt auch über die Schwelle, die nicht überschritten werden soll. Wir berufen uns zudem auf Gesetze, die Parlamente geschaffen haben. In diesem Fall die offene Norm der "Fürsorgepflicht". Es wird oft vergessen, dass die Justiz auch die Aufgabe hat, die Bürger vor schädlichem Verhalten der Staaten zu schützen. Oft reicht das in Bereiche hinein, die gesetzlich noch nicht abgedeckt sind. Beispiele wären Asbest oder Tabak. Da hatten Richter früh schädliches Verhalten sanktioniert, Jahre bevor entsprechende Gesetze erlassen wurden.

Jedes Land muss wohl eigene Wege finden.

Sicher. Der neue Gedanke ist aber, dass präventiv gehandelt werden muss, dass es nicht reicht, Schaden zu kompensieren. Deshalb müssen wir die Hauptakteure des Klimawandels ins Visier nehmen: Staaten und große Energiekonzerne.

Shell argumentiert, dass ein anderer Konzern in die Lücke spränge, wenn sie ihr Geschäft verkaufen müssten.

Rechtlich ist es so: Wenn jemand substantiell zu einem Problem beiträgt, kommt ihm auch eine große Rolle bei der Lösung des Problems zu. Außerdem: Was ein Konzern weniger produziert, wird nicht sofort von anderen ausgeglichen. Es gibt Forschungen, wonach für jedes nicht-produzierte Barrel Öl 0,2 bis 0,6 Barrel nicht konsumiert werden. Und selbst wenn die Lücke irgendwann ausgeglichen würde, hätte es bis dahin eine Wirkung. Übrigens hat die industriefreundliche Internationale Energie-Agentur gerade einen eminent wichtigen Bericht zum Klimawandel veröffentlicht. Unter anderem steht dort: Es darf keine neuen Investitionen in neue Öl- und Gasfelder mehr geben.

Darauf besteht Shell aber.

Ja, in den kommenden zehn Jahren wollen sie zu den zwei, drei größten Investoren der Welt zählen. Deshalb sagen wir, dass sie auf Kollisionskurs mit den Klimazielen sind.

Aber bei einer Niederlage bekäme Shell ein großes Problem, wäre vielleicht ruiniert.

Auf keinen Fall. Es gibt jede Menge Konzerne, die halb so groß sind wie Shell oder noch viel kleiner, und ihr Geschäftsmodell funktioniert trotzdem. Shell ist ein Riese unter Riesen. Wie Exxon Mobile. Sie können sich verkleinern. Sie haben das vor Gericht auch nicht bestritten. Außerdem haben sie massenhaft Geld, viel mehr als jedes Start-up. Und ein gigantisches Tankstellennetz. Ideal, um in erneuerbare Energien einzusteigen. Sie werden es überleben, keine Sorge.

Aber warum ausgerechnet Shell?

Irgendwo muss man anfangen. Das gilt auch für die Klage gegen Staaten. Sie haben 1992 im UN-Klimavertrag festgehalten, dass sie eine individuelle Pflicht haben, das Problem zu lösen. Anders geht es auch nicht.

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