Süddeutsche Zeitung

Serbien und Kosovo:Ein Streit um Nummernschilder alarmiert die Nato

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Kosovo lässt neuerdings keine Fahrzeuge mit serbischen Kennzeichen mehr ins Land fahren - Serbien praktiziert das umgekehrt seit Jahren genauso. Die EU ruft zur Deeskalation auf.

Von Tobias Zick, München

Spätestens wenn sich die Nato-Führung in einen Konflikt einschaltet, wird klar, dass es dabei um mehr geht als nur um Nummernschilder. Jens Stoltenberg, der Generalsekretär des Verteidigungsbündnisses, wandte sich denn auch nicht direkt an die protestierenden Menschen, die seit mehr als einer Woche zwei Grenzübergänge zwischen Serbien und Kosovo blockieren, sondern an die Regierungen in den Hauptstädten: "Belgrad und Pristina", forderte er, müssten "Zurückhaltung üben und den Dialog wiederaufnehmen".

Auslöser der jüngsten Zuspitzung war eine Verordnung der Regierung in Pristina, wonach Autofahrer auf der kosovarischen Seite sich ein temporär gültiges einheimisches Kennzeichen anmontieren müssen. Offenkundig eine Retourkutsche für die jahrelange Praxis der Regierung in Belgrad, auf ihrer Seite der Grenze Autofahrer zum Führen serbischer Kennzeichen zu verpflichten. Aus serbischer Sicht geradezu zwingend logische Praxis: Das Land erkennt seine ehemalige Provinz Kosovo, die sich 2008 für unabhängig erklärt hat, bis heute nicht als souveränen Staat an - warum sollte man also deren Recht anerkennen, eigene, nationale Nummernschilder auszugeben?

Für die EU ist die Zuspitzung ein Desaster

Nun hat Kosovo gewissermaßen bürokratisch nachgerüstet - was wiederum eine handfeste Aufrüstung auf beiden Seiten der Grenze nach sich gezogen hat. Nachdem Angehörige der serbischen Minderheit in Nordkosovo aus Protest gegen die neue Nummernschildverordnung anfingen, die Grenze mit Lastwagen zu versperren, schickte Pristina Spezialeinheiten der Polizei in die Region. Darauf verstärkte Belgrad die eigenen Truppen nahe der Grenze und ließ Militärflugzeuge über das Gebiet fliegen.

Für die Europäische Union ist die Zuspitzung ein Desaster. Nach dem Ende der Trump-Regierung in den USA, die etwa mit offenem Sympathisieren für Gebietstauschpläne entlang der serbisch-kosovarischen Grenze Unruhe geschürt hatte, war in Brüssel eigentlich die Hoffnung gewachsen, dass sich der EU-vermittelte Dialog zwischen Belgrad und Pristina neu beleben ließe. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell rief beide Seiten dazu auf, die Lage "bedingungslos zu deeskalieren".

Am Montag empfing Serbiens Präsident Aleksandar Vučić die Botschafter von Großbritannien, Deutschland, Italien, Frankreich und den USA, die ihn Berichten zufolge zur Deeskalation an der Grenze aufforderten. Anschließend sagte er in einem Fernsehinterview, er sei im Gespräch mit "dem Botschafter eines der mächtigsten Länder der Welt" (welchem, sagte er nicht) zeitweise "emotional" geworden: "Sie wollen mir sagen, wohin sich unsere Einheiten innerhalb unseres Territoriums bewegen dürfen? Sind Sie noch normal, Mann?" In einer offiziellen Erklärung hatte Vučić verlauten lassen, er fühle sich dem Brüsseler Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Belgrad und Pristina weiterhin verpflichtet, werde aber keineswegs eine "Erniedrigung Serbiens und seiner Bürger" hinnehmen.

Die Nato-geführte internationale Friedensmission Kfor hat unterdessen nach eigener Auskunft ihre Routine-Patrouillen in ganz Kosovo verstärkt, "einschließlich des Nordkosovo".

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