Süddeutsche Zeitung

Seenotrettung:EU-Minister wollen gerettete Flüchtlinge besser verteilen

Lesezeit: 3 min

Von Matthias Kolb, Vittorosia

Horst Seehofer ist beeindruckt. Der Bundesinnenminister blickt nach oben auf die Mauern des Fort St. Angelo. Hier residierte einst der Großmeister des Malteserordens, und in der gewaltigen Festung empfängt Maltas Innenminister Michael Farrugia seine Amtskollegen aus Deutschland, Italien, Frankreich und Finnland. Ihr Ziel: ein Notfallmechanismus für auf dem Mittelmeer gerettete Migranten. Er soll verhindern, dass die Schiffe der privaten Seenotretter tage- oder wochenlang ausharren müssen, bis sich genügend aufnahmebereite EU-Länder finden. Erst dann öffnen Malta und Italien ihre Häfen.

Er sei "vorsichtig optimistisch", sagt der CSU-Politiker. Es gehe um die "richtige Balance aus Humanität und Ordnung" und er verteidigt erneut das Angebot Deutschlands, 25 Prozent der Geretteten aufzunehmen. Der EU-Machtbalance entsprechend müsste Frankreich den gleichen Teil nehmen, doch Paris zögert, sich festzulegen. Momentan ist die Zahl der ankommenden Boote vergleichsweise gering. Doch nicht nur auf Malta, 400 Kilometer von Libyens Küste entfernt, weiß man, dass sich dies schnell ändern kann.

Konkrete Zahlen werden nach der Einigung nicht genannt

Einige Stunden, nachdem Seehofer hinter den dicken Mauern verschwunden ist, tritt er an der Seite der vier Minister und EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos ans Rednerpult. Er sei "hochzufrieden" mit dem Notfallmechanismus, auf den man sich einigen konnte. Seit einem Vierteljahr hätten die Fachleute der Ministerien verhandelt, nun gebe es eine gemeinsame Position. Konkrete Zahlen werden auf der Pressekonferenz nicht genannt, sie nennt Seehofer später vor deutschen Journalisten.

Sechs Monate ist als Dauer vorgesehen, damit die neue Kommission unter Führung von Ursula von der Leyen mit etwas Spielraum startet. Der Verteilungsschlüssel werde erst geklärt, wenn feststehe, wie viele EU-Staaten sich beteiligen. Die Sicherheitsprüfung soll "in vier Wochen" erfolgen, nachdem die Menschen an Land gekommen seien. Das Asylverfahren finde aber in Deutschland statt, so Seehofer. Das noch geheime Papier enthält Maßnahmen, die verhindern sollen, dass Schlepper die neue Lösung missbrauchen. Die Stimmung der Minister ist prächtig, aber unter Maltas Sonne herrscht keine Illusion darüber, dass ihr Vorschlag nur der erste Schritt beim Versuch ist, den Stillstand in der europäischen Migrationspolitik zu beenden. Ernst wird es in zwei Wochen in Luxemburg. Dort kommen am 8. Oktober die EU-Innenminister zusammen, und im Großherzogtum sollen möglichst viele ihre Teilnahme verkünden. Leicht wird die Überzeugungsarbeit nicht.

Einige EU-Länder lehnen eine Verteilung bislang ab

Dass zuletzt nur noch eine Kerngruppe um Deutschland, Frankreich, Portugal, und Luxemburg bereit war, im Mittelmeer gestrandete Menschen aufzunehmen, hat mehrere Gründe: Vor der Europawahl im Mai wollten viele Regierungsparteien das strittige Thema Migration entweder verdrängen oder stellten sich wie in Ungarn, Österreich oder Polen als Hardliner dar. Egal wie unwürdig und uneuropäisch es viele Bürger finden, dass die überfüllten Schiffe tagelang auf dem Mittelmeer kreuzen und darauf warten, einen Hafen ansteuern zu dürfen: Im Ernstfall kann die EU-Kommission nicht mehr tun als per Telefon in den Hauptstädten um Aufnahme zu betteln. Der Ende 2018 gestartete Versuch der EU-Behörde, eine Zwischenlösung zu organisieren und einen Verteilungsplan mit klar festgelegten Schritten auszuarbeiten, wurde damals abgewehrt.

Blockiert wird nicht nur von Mittel- und Osteuropäern: Allen in Brüssel und den Regierungen ist bewusst, dass die Dublin-Asylregelung, wonach der Antrag nur im Ankunftsland gestellt werden darf, nicht mehr funktioniert. Aber übermächtig ist die Sorge, dass eine Zustimmung zur Übergangslösung die Reform von Dublin vorwegnimmt. Ein ähnlicher Vorschlag der rumänischen Ratspräsidentschaft war im Juni verpufft: Spanien befürchtete darin einen Anreiz zu mehr Migration, Griechenland und Zypern forderten Hilfe fürs östliche Mittelmeer, wo sich die Lage zuspitzt.

Andere Westeuropäer betrachteten die Gespräche rund um das Malta-Treffen mit enormer Skepsis: Diese Ad-hoc-Lösungen verhindern jene strukturelle Reform, die längst überfällig sei. Man müsse dafür sorgen, dass die EU-Mitglieder im Süden die Migranten zuverlässig registrieren und Fingerabdrücke nehmen. "Wir kriegen dauernd Asylbewerber, die entweder gar nicht im Eurodac-System sind - oder ein Dutzend Mal", sagt ein Diplomat aus einem Land ohne Zugang zum Mittelmeer.

Über diese und andere Fragen wird nun intensiv gesprochen werden. Seehofer geht davon aus, dass sich "zwölf bis 14 Staaten" am Notfallmechanismus beteiligen würden. Dafür müssten auch die Regierungschefs werben. Vor dem Abflug nach Berlin verkündet der Minister stolz, dass sich Europa an diesem Tag bewährt habe: Dies mache ihn "glücklich".

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Quelle:
SZ vom 24.09.2019
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