Süddeutsche Zeitung

Steuerschätzung:Weiter aus dem Vollen schöpfen

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Scholz will den Sozialstaat in der Krise stark halten und zugleich die Unternehmen weiter stützen - das Geld dazu könnte über zusätzliche Schulden kommen. Der Koalitionspartner grummelt.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Die Pandemie kommt Deutschland teurer zu stehen als bisher geplant. Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz schloss am Mittwoch nicht aus, dass die ohnehin hohe geplante Nettokreditaufnahme des Bundes für 2022 nochmals erhöht werden wird. "Wir haben bisher einen erheblichen Betrag veranschlagt und diskutieren jetzt im politischen Raum, was genau da rauskommen kann", sagte Scholz bei der Vorstellung der aktuellen Steuerschätzung in Berlin. Eine Zahl nannte er nicht. Er verwies darauf, dass sein Ministerium Ende Juni die neue Finanzplanung vorlegen werde.

Grund für die höhere Neuverschuldung sind weitere Ausgabenpläne. In der Planung fehlen etwa die Beitragssatz-Garantie für die Sozialversicherungen, der Klimapakt sowie 12,5 Milliarden Euro, die Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zusätzlich für den Gesundheitsfonds fordert, um Beitragserhöhungen zu vermeiden. Bisher hatte der Finanzminister für 2022 etwa 81 Milliarden Euro an zusätzlichen Schulden eingeplant. Das wird nun nicht reichen. Für das laufende Jahr sind 240 Milliarden Euro bewilligt, im vergangenen Jahr wurden 130 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Zusammen entsprechen die neuen Schulden deutlich mehr als einem Bundeshaushalt.

In der Union - die immer noch Koalitionspartner der SPD ist - war am Mittwoch ein lautes Grummeln zu hören. Haushaltsexperte Eckhardt Rehberg (CDU) warnte, Scholz gebe ungebremst Geld aus. "Ich fordere die Bundesregierung auf, endlich Maß zu halten", sagte Rehberg - der ja selbst einer Regierungsfraktion angehört. Der nach der Bundestagswahl in den Ruhestand wechselnde Chefhaushälter von CDU und CSU macht sich vor allem Sorgen um den Bund, der so gut wie alle Pandemiehilfen bezahlt. "Wer immer neue Ausgaben des Bundes verspreche, muss deren Finanzierung präzise darlegen". Das gelte auch für neue Zuschüsse des Bundes an die Sozialversicherungen. "Es ist kein Ausweis von Stärke, neue Ausgaben mit Schulden zu finanzieren, sondern der denkbar einfachste Weg". Der Bund sei "nicht die Melkkuh" der Nation.

Die großzügigen Hilfen des Bundes in der Pandemie spiegeln sich in den Steuereinnahmen wider. Bis 2025 wird der Bundeshaushalt voraussichtlich mit weniger Steuereinnahmen auskommen müssen als noch im November 2020 prognostiziert; bis 2025 werden es minus zwei Milliarden Euro sein. Insgesamt können Bund, Länder und Gemeinden bis 2025 mit einem Einnahmeplus von etwa 10 Milliarden Euro rechnen; dieses Plus liegt bei insgesamt rund 4200 Milliarden Euro innerhalb der Fehlertoleranz.

Dafür, dass die Schulden weiter anwachsen, spricht auch, dass Scholz die Wirtschaftshilfen des Bundes und das Kurzarbeitergeld weiter verlängern will. Bisher habe der Bund rund 100 Milliarden Euro an Hilfen ausgezahlt, sagte Scholz. Entlastet wurden etwa Gastronomen, die den ermäßigten Steuersatz verwenden können, Familien mit Kindern, Unternehmen bei den Verlustabzugsbedingungen sowie alle Bürger über die Mehrwertsteuersenkung. Hinzu kommen Zuschüsse an die Bundesagentur für Arbeit für das Kurzarbeitergeld und an Sozialversicherungen. Der Kanzlerkandidat der SPD sagte, dass trotz aller Maßnahmen ein Steuerplus erwartete werden könne, zeige, wie gut die deutsche Wirtschaft aus der Pandemie komme. Es sei wichtig, den Sozialstaat in dieser Krise stark zu halten. Mit Blick auf die politische Konkurrenz im Wahlkampf sagte Scholz, er "habe gelacht über den Vorsitzenden einer kleinen liberalen Partei", der gefordert habe, die Handlungsspielräume im Haushalt besser zu nutzen. Dieser Vorsitzende habe ja nur im Sinn, Steuersenkungen für Millionäre durchzusetzen. Scholz spielte auf Christian Lindner an, der mit dem Versprechen von Steuersenkungen für Unternehmen und Gutverdiener in den Bundestagswahlkampf ziehen will. Ein vom FDP-Bundestagsfraktionsvorstand verabschiedetes Positionspapier sehe Steuererleichterungen für die Wirtschaft von 60 Milliarden Euro im Jahr vor, um bei den Unternehmen zusätzliche Investitionen von 120 Milliarden Euro anzustoßen

Die Bundesregierung hat Scholz zufolge seit der letzten Steuerschätzung im November steuerliche Entlastungen in Höhe von 83 Milliarden Euro beschlossen, allein in diesem Jahr 14 Milliarden Euro. "Das ist eine der größten Steuererleichterungen der Geschichte". Das Einnahmen-Plus von 10 Milliarden Euro bis 2025 sei vor dem Hintergrund dieser Steuererleichterung "umso bedeutsamer".

Ab wann die Schuldenbremse wieder eingehalten werden wird, ließ Scholz offen. Er verwies auf die geltende Finanzplanung, danach soll die in der Verfassung verankerte Regel ab 2023 wieder voll eingehalten werden. Derzeit gilt eine Ausnahmeklausel, sie wurde von Union, SPD, Grünen und FDP beschlossen. Unionsexperte Rehberg sagte, die Koalition habe "eine Verantwortung für solide Finanzen - und eine Schuldenbremse im Grundgesetz, die spätestens ab 2023 einzuhalten ist". Grünen-Chefin Annalena Baerbock lehnt eine schnelle Rückkehr zur Schuldenbremse ab. "Das können wir nicht", sagte die Co-Parteichefin in der ARD. Die Grünen fordern, die Schuldenbremse durch eine Regel zu ergänzen, die kreditfinanzierte Investitionen in Infrastruktur erlaube. "Da wir gerade Niedrigzinsen haben, ist das auch eine Rechnung, die über die Jahre aufgeht."

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