Süddeutsche Zeitung

Ukraine:Nach Ankunft von Scholz: Luftalarm in Kiew

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Kurz nach der Ankunft des Kanzlers in Kiew ist in der ukrainischen Hauptstadt Luftalarm ausgelöst worden. Scholz ist gemeinsam mit Macron und Draghi unterwegs. Die Drei wollen "nicht nur Solidarität demonstrieren".

Kanzler Olaf Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsident Draghi sind laut SZ-Informationen in einem Sonderzug in Kiew eingetroffen. Kurz nach ihrer Ankunft ist am Donnerstag in der ukrainischen Hauptstadt Luftalarm ausgelöst worden. In Kiew trifft das Trio Präsident Wolodimir Selenskij. Bei den Gesprächen mit der ukrainischen Staatsführung soll es um den Kriegsverlauf, einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine und weitere Hilfen für das Land gehen. In Kiew ist inzwischen auch noch der rumänische Präsident Klaus Iohannis dazustoßen, der eine andere Reiseroute genommen hatte.

Scholz sagte im Zug: "Es ist wichtig, wenn die Regierungschefs der drei großen Länder, die schon bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dabei waren, nach Kiew fahren und in dieser ganz besonderen Situation des Krieges ihre Unterstützung für die Ukraine den Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine zeigen."

Weiter sagte der SPD-Politiker: "Wir wollen aber nicht nur Solidarität demonstrieren, sondern versichern, dass die Hilfe, die wir organisieren, finanziell humanitär, aber auch wenn es um Waffen geht, fortgesetzt werden wird." Dies werde man "so lange fortsetzen, wie das nötig ist für den Unabhängigkeitskampf der Ukraine". Gleichzeitig werde man noch einmal klarstellen, dass die verhängten Sanktionen gegen Russland von großer Bedeutung seien. "Denn sie tragen dazu bei, dass die Chance besteht, dass Russland sein Vorhaben aufgibt und seine Truppen wieder zurückzieht. Denn das ist ja das Ziel", unterstrich Scholz.

Scholz hat stets betont, dass er nur nach Kiew reisen werde, wenn es konkrete Dinge zu besprechen gebe. Selenskij fordert die Lieferung weiterer schwerer Waffen und dass die EU schon in der kommenden Woche auf ihrem Gipfel in Brüssel einer Kandidatur der Ukraine für eine Mitgliedschaft zustimmt.

Bürgermeister Klitschko erfreut

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hat sich erfreut über den Besuch gezeigt. "Ich bin als Bürgermeister glücklich und stolz, dass der deutsche Bundeskanzler zusammen mit dem französischen Staatspräsidenten und dem italienischen Regierungschef unsere Stadt besucht", sagte Klitschko der Bild. "Das ist ein Zeichen großer Unterstützung in einer Zeit, in der es immer noch ein Risiko ist, Kiew zu besuchen, denn es können weiter jederzeit Raketen einschlagen."

Klitschko sagte weiter, der Besuch "hat vor allem große Symbolbedeutung und zeigt die Unterstützung für die Ukraine in Zeiten des Krieges. Stabilität in Europa kann es nur dann geben, wenn Putin diesen grausamen Krieg gegen unser Land endlich beendet."

Bitte um weitreichende Waffenlieferungen

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hatte Scholz im Vorfeld dazu aufgefordert, bei seinem Besuch in Kiew weiterreichende Waffenlieferungen zuzusagen. Man erwarte in Kiew in erster Linie, dass Scholz endlich grünes Licht für die erbetenen 88 Leopard-1-Kampfpanzer und 100 Marder-Schützenpanzer gebe, die der Konzern Rheinmetall sofort liefern könne, sagt Melnyk der Rheinischen Post.

Zudem müsse Scholz schwere Waffen aus den Beständen der Bundeswehr freigeben. "Nichts steht im Weg, dass Deutschland einen erheblichen Teil von eigenen 800 Transportpanzern Fuchs, 325 Leopard-2-Panzern oder 380 Marder-Panzern der ukrainischen Armee zur Verfügung stellt, um die russischen Truppen zu zerschlagen."

Mittelfristig benötige die Ukraine zudem deutsche U-Boote, Korvetten sowie Patrouillen- und Kampfboote, um die lange Schwarzmeerküste zu verteidigen und die russische Überlegenheit auf See zu brechen. Damit würde auch die Schifffahrtsfreiheit und die Ernährungssicherheit in anderen Ländern garantiert.

Bedeutender Besuch

Seit Mitte März sind zahlreiche Staats- und Regierungschefs in die Ukraine gereist, die sich nun schon seit fast vier Monaten gegen den Angriff der russischen Streitkräfte zur Wehr setzt. Dieser Besuch ist aber zweifellos der bedeutendste: Scholz, Macron und Draghi repräsentieren die drei bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten EU-Länder.

Alle drei Staaten gehören zur G7, in der sich demokratische Wirtschaftsmächte zusammengeschlossen haben. Deutschland hat in dieser Gruppe derzeit den Vorsitz, Frankreich wiederum hat die EU-Ratspräsidentschaft inne. Selenskij hatte Scholz bereits vor Wochen nach Kiew eingeladen. Zuerst standen aber Verstimmungen wegen der kurzfristigen Absage einer Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von ukrainischer Seite im Weg.

Nachdem die Irritationen ausgeräumt waren, verwies Scholz darauf, dass es ihm bei einer solchen Reise nicht um Symbole, sondern um Inhalte gehe: "Ich werde nicht mich einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen. Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge."

Vor ihm waren schon eine ganze Reihe seiner Minister in der Ukraine: Annalena Baerbock (Außen, Grüne), Svenja Schulze (Entwicklung, SPD) und zuletzt Karl Lauterbach (Gesundheit, SPD) sowie Cem Özdemir (Agrar, Grüne). Auch Parlamentspräsidentin Bärbel Bas (SPD) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) besuchten Kiew.

Die Reise von Scholz, Macron und Draghi war seit einiger Zeit geplant. Bis zuletzt wurde sie trotz einiger Medienberichte aus Sicherheitsgründen nicht bestätigt. Scholz flog bereits am Mittwochabend nach Südpolen. Von der Grenzstadt Przemysl fuhr der Sonderzug mit neun Waggons kurz vor Mitternacht Richtung Kiew los. Der Luftraum ist wegen des Kriegs gesperrt. Es bleibt selbst für Präsidenten und Regierungschefs nur der Landweg. Über Przemysl sind viele Kriegsflüchtlinge in die EU eingereist - und kehren seit geraumer Zeit auf diesem Weg auch wieder zurück.

Schwere Gefechte im Donbass

In der Ostukraine liefern sich ukrainische und russische Truppen weiter schwere Kämpfe in den Gebieten Luhansk und Donezk. In Richtung der Stadt Bachmut gebe es russische Angriffe "zur Verbesserung der taktischen Lage", teilte der ukrainische Generalstab bei Facebook mit. Unter Artilleriebeschuss stünden die Orte Wessele, Soledar, Berestowe und Wowtschojariwka. Schwere Kämpfe gebe es auch bei der Separatistenhochburg Donezk. Auch in Richtung von Slowjansk gebe es Angriffsbemühungen der Russen.

Im benachbarten Luhansker Gebiet sei weiter die Stadt Sjewjerodonezk besonders hart umkämpft. Ein Teil der Industriestadt stehe dabei weiter unter ukrainischer Kontrolle. Artilleriebeschuss gebe es auch an Frontabschnitten in den Gebieten Charkiw, Saporischschja, Cherson und Mykolajiw. Die Ukraine verteidigt sich mittlerweile seit fast vier Monaten gegen den von Russland begonnen Angriffskrieg. Die Vereinten Nationen haben bislang mehr als 4400 getötete Zivilisten erfasst, gehen aber - wie auch Kiew - von weitaus höheren zivilen Opferzahlen aus.

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