Süddeutsche Zeitung

Russland:Eine Wahl, die keine ist

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Putin veranstaltet eine Abstimmung, deren Ergebnis seine Macht auf lange Zeit festigen soll. Dabei werden die Wählerinnen und Wähler in die Irre geführt. Das ist weder demokratisch noch transparent.

Kommentar von Silke Bigalke

Sieben Tage lang hat Russland über Wladimir Putins Verfassungsreform abgestimmt. Klingt fair und demokratisch, ist aber genau das Gegenteil. Die Änderungen sollen Putins Herrschaft weit über die Zeit hinaus verlängern, welche die Verfassung allen anderen Präsidenten zugesteht. Die Abstimmung darüber hat kosmetische und machtpolitische Gründe. Was die Mehrheit der Menschen in Russland möchte, spielt dabei keine Rolle. Putin leitet eine Phase seiner Regentschaft ein, die sich kaum noch als imitierte Demokratie beschreiben lässt. Zwang und Manipulationen sind dafür längst viel zu sichtbar.

Dass der Kreml Wahlen zu seinem Wunschergebnis hinlenkt, ist nicht neu. Für dieses Plebiszit aber hat er eigene Regeln aufgestellt. Kampagnen sind nicht vorgesehen, unabhängige Beobachter nicht verpflichtend. Putin hätte die Abstimmung nicht einmal gebraucht, sein Verfassungstrick läuft ohnehin außerhalb jedes rechtlichen Rahmens ab. Er wollte sie, um den Mächtigen um ihn herum zu demonstrieren, dass er noch Mehrheiten gewinnen kann. Die Wahl lässt seine Reform legitim aussehen.

Insgesamt ändert und ergänzt er 46 Artikel der Verfassung, doch die Wähler können nur das gesamte Paket annehmen oder ablehnen. Wem Mindestlohn, Rentenanpassung, Tierschutz, Gottesglaube oder die russische Sprache wichtig sind, der stimmt mit Ja - und damit für Putins mögliche Machtverlängerung bis 2036. Seit Monaten werben die Behörden für die Reform, lassen diesen umstrittenen Punkt aber aus. Gegnern der Verfassungsänderung ließen die Behörden keine Chance zum Protest. In Moskau haben sie das zumeist mit der Pandemie begründet, die aber für die Siegesparade vor einer Woche kein Hindernis war.

Die Pandemie entblößt den Zynismus hinter diesem Schauspiel. Der Kreml drängte die Leute trotz des Gesundheitsrisikos an die Urnen. Wegen der Ansteckungsgefahr galten Regeln wie Maskenpflicht, die Manipulation erleichtert haben. Sieben Wahltage sollten größeren Abstand zwischen den Teilnehmern ermöglichen, eine lückenlose Kontrolle wurde so erst recht unmöglich. Beobachter berichten, wie üblich, von Unregelmäßigkeiten. Arbeitgeber drängen Angestellte zur Wahl. Wer nicht abstimmt, riskiert, dass jemand anderes seinen Stimmzettel für ihn ausfüllt. Vielerorts wird wegen des Virus im Freien abgestimmt, auf Bänken, in Kofferräumen, auf Spielplätzen.

Man darf nicht vergessen, worum es dabei geht: Putin verändert die Verfassung in einer Art und Weise, die Experten streiten lässt, was diese danach noch wert ist. Der Präsident schreibt seinen persönlichen Machtanspruch fest, regelt die Aufgaben der Institutionen neu, stellt russisches über internationales Recht und entfernt sich damit weiter von den europäischen Demokratien. Wer will sich noch auf ein Recht verlassen, das der Präsident quasi im Alleingang biegen kann.

Wie eine faire Abstimmung über die Reform ausgegangen wäre, wird niemand erfahren, auch der Kreml nicht. Unabhängige Umfragen deuten darauf hin, wie zweigeteilt die Bevölkerung ist. Exit Polls aber zeigen eine deutliche Mehrheit für die Reform. Für die Präsidentschaftswahl spätestens im Jahr 2024 lässt das Böses ahnen. Wenn Putin wirklich wieder antritt, steht das Ergebnis wohl fest. Er könnte sich die Wahl eigentlich auch sparen und gleich durchregieren.

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Quelle:
SZ vom 02.07.2020
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