Süddeutsche Zeitung

Russlands Druck auf Kiew:Warum der Ukraine nur freie Wahlen helfen

Lesezeit: 3 min

Die Methoden der Diplomatie reichen in der Ukraine-Krise nicht mehr aus, das zeigt die Geiselnahme der OSZE-Beobachter. Der Westen muss jetzt deutlich machen: Wenn Russland freie Wahlen in der Ukraine verhindert, dann werden die Wirtschaftsbeziehungen schweren Schaden nehmen.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Wer schon mal eingeladen war, der weiß, was für Privilegien ein Gast genießt. Er darf ein bisschen später kommen, und vor allem darf er gehen, wann immer er will. Er wird nicht mit Schnellfeuerwaffen an den Tisch geleitet, und in der Regel findet der Besuch auch nicht in fensterlosen Kellerräumen statt.

Der Separatisten-Anführer in der ostukrainischen Stadt Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, ist also ein grandioser Zyniker, wenn er seine Entführungsopfer als Gäste bezeichnet. Das sind sie natürlich nicht. Die Inspektoren mit OSZE-Mandat sind politische Gefangene, sie werden gegen ihren Willen festgehalten, sie bieten Erpressungspotenzial. Gerade für die nun besonders betroffenen Deutschen gibt es kein sinnfälligeres Beispiel, um den anhaltenden Rechtsbruch zu belegen, der sich im Osten der Ukraine unter dem Schutz Russlands vollzieht.

Die militärischen Beobachtermissionen der OSZE sind eine wichtige Errungenschaft aus der Zeit des großen Weltumbruchs 1990 ff., als alle Seiten im auslaufenden Kalten Krieg um das wichtigste Gut im Völkergeschäft rangen: Vertrauen. Nur wer seine Truppen transparent bewegt und stationiert, wer bei Manövern Beobachter zulässt, wer nach den in der OSZE aufgestellten Regeln Inspektoren das eigene Land bereisen lässt, der trägt zum Abbau von Spannungen bei und schafft Vertrauen. Das Wiener Dokument, mit dem die OSZE diese Beobachtungen für 57 Staaten regelt, ist also eine tragende Säule der europäischen Friedensordnung.

Nur wenn in der Ukraine gewählt wird, kann das Land überleben

Wer nun den Bundeswehr-Soldaten und ihrer Befehlshaberin vorwirft, sie handelten fahrlässig und hätten das Risiko herausgefordert, der schiebt dem Rechtsbruch der Separatisten eine Beleidigung hinterher. Es sind diese Soldaten, die mit ihrer Aufklärung exakt jenen "Nebel des Krieges" verhindern sollen, der alle Konflikte umweht und in dessen Schutz sich so leicht ein heißer Krieg entfachen lässt. Wenn nicht in der Ukraine, wo sonst soll die OSZE jetzt beobachten? Die internationalen Experten haben das Verhalten der ukrainischen Streitkräfte aufgeklärt, weil im unbeobachteten Moment die Krisen erst wirklich explodieren - siehe der letzte Georgien-Krieg.

Die Inhaftierung der Beobachter ist auch deswegen von so einschneidender Symbolik, weil sie zeigt, wie unzulänglich der Westen auf die Eskalation in der Ukraine reagiert. Die Methoden der Diplomatie und des Völkerrechts scheinen jedenfalls nicht mehr auszureichen, um den Konflikt zu stoppen. Die Genfer Vereinbarung - Makulatur. Die Zusicherung der Nicht-Einmischung Russlands in der Ostukraine - mehr als unglaubwürdig; die grünen Männchen tauchen in geradezu planerfüllender Perfektion an immer neuen Orten auf, bestens organisiert, ausgerüstet und bewaffnet. Russland lässt sich nicht mal bitten, mäßigend zu wirken.

Wirklich verändern könnte die Dynamik nur ein starkes politisches Zeichen aus dem Inneren der Ukraine, eine Manifestation der Einheit und der Souveränität. Dieses starke Signal kann nur von einer glaubwürdigen, freien und nationalen Wahl ausgehen, verbunden mit einer Abstimmung über den Zusammenhalt des Landes - oder eben dessen Teilung. Alle glaubwürdigen Umfragen und Stimmungstests, auch im Osten der Ukraine, haben bisher keine Mehrheit für den Wunsch nach Staatszerfall geliefert.

Der Europäischen Union und auch den USA bleiben in diesem Zerstörungsprozess nur wenige Optionen. Oberstes Ziel muss sein, das eigene Bündnisgebiet von einer Kontamination zu bewahren und auch politisch radikale Ausschläge in den Partnerländern zu verhindern. Diesem Ziel dient etwa die symbolische Verlegung einer Kompanie amerikanischer Soldaten nach Polen oder die Verlegung von Abfangjägern ins Baltikum.

Die Ukraine muss die Chance auf eine freie Wahl erhalten

Wichtiger wäre, die legitimierende Abstimmung in der Ukraine selbst zu befördern und zu begleiten. Die Ukraine muss die Chance auf eine freie Wahl erhalten. Diesem Ziel muss die westliche Politik folgen - und nach diesem Ziel muss auch die Sanktionspolitik ausgerichtet werden. Sanktionen - vor allem gegen den russischen Finanzsektor - sind das letzte Mittel, das dem Westen in dieser ungleichen Auseinandersetzung bleibt.

Bisher war die schärfste Sanktionsstufe als Reaktion auf einen russischen Einmarsch im Osten der Ukraine angedroht. Die EU und auch die USA sollten nun ihr Wenn-dann-Szenario ändern und mit Sanktionen bewehren: wenn Russland freie und faire Wahlen in der Ukraine verhindert, dann werden die Wirtschaftsbeziehungen schweren Schaden nehmen. Denn wenn die Ukraine nicht gewählt werden kann, dann wird das Land zerfallen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1945572
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.04.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.