Süddeutsche Zeitung

Vergiftungsverdacht in Russland:Anwältin will Haarprobe Nawalnys untersuchen lassen

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Von Frank Nienhuysen, München

In Russland ist ein Ärztestreit über den Gesundheitszustand des Oppositionsführers Alexej Nawalny entbrannt. Nawalny war am Sonntagabend von seiner Arrestzelle aus in ein Moskauer Krankenhaus gebracht und dort wegen einer akuten allergischen Reaktion behandelt worden. Am Montag berichtete die Nachrichtenagentur Interfax, dass die Ärzte bei Nawalny Nesselfieber diagnostiziert hätten. Sein Zustand sei "zufriedenstellend, mit positiver Dynamik".

Noch am Montag wurde Nawalny aus dem Krankenhaus entlassen und sollte zurück ins Gefängnis gebracht werden. Seine persönliche Ärztin Anastasia Wassiljewa dagegen sagte, dass eine einfache Allergie eine solche Reaktion nicht ausgelöst haben könne. Sie hielt es für möglich, dass Nawalny durch den Kontakt mit einer "unbekannten chemischen Substanz" vergiftet worden sein könnte. Eine Zurückverlegung in Haft sei daher "unprofessionell und falsch", berichtete der russische Internetsender Doschd.

Auch Nawalnys Anwältin Olga Michailowa sprach am Montag von einer Vergiftung. Ein T-Shirt Nawalnys und eine Haarprobe sollen nun unabhängig untersucht werden. Wassiljewa, die seit zwei Jahren Nawalnys Hausärztin ist, sagte, dass ihr Patient "keine Allergie hat und nie eine gehabt hat". Nawalny hatte unter anderem Schwellungen im Gesicht und eine gerötete Haut.

Die Medizinerin warf den Krankenhaus-Mitarbeitern vor, sie und einen Arzt-Kollegen abgewiesen und mit den Worten hinausbegleitet zu haben, sie seien "nicht befugt", der Patient stehe unter Arrest. Wassiljewa schrieb auf ihrer Facebook-Seite von einem "echten Zirkus". Sie empfahl den Behörden, unter anderem Nawalnys Bettwäsche sowie Haut- und Haarproben chemisch untersuchen zu lassen.

Als sich am Sonntag vor dem Krankenhaus, in dem Nawalny behandelt wurde, russische Journalisten versammelten, wurde mehrere von ihnen festgenommen und kurz darauf wieder freigelassen.

Tausende Russen demonstrierten am Wochenende

Nawalny sitzt derzeit eine Haftstrafe von 30 Tagen ab, weil er zu den Protesten aufgerufen hatte, an denen sich vor einer Woche etwa 20 000 Menschen in Moskau beteiligten. Am Samstag wurden bei einer ungenehmigten Demonstration mehr als tausend Menschen festgenommen, die meisten von ihnen sind wieder freigekommen.

Die Proteste richten sich gegen den Ausschluss regierungskritischer Kandidaten bei den Regionalwahlen, die im September stattfinden. Für die Abstimmung zum Moskauer Stadtrat verweigerte die Wahlkommission 57 Kandidaten die Registrierung wegen angeblicher Formfehler, unter ihnen sind die Regierungskritiker Ilja Jaschin und Dmitrij Gudkow.

Der 43 Jahre alte Nawalny ist einer der größten Gegner der russischen Führung. Als Jurist und Anti-Korruptions-Kämpfer deckt er seit Jahren Skandale von Politikern und Beamten auf und prangert sie wegen ihres zum Teil erheblichen Vermögens an. Immer wieder ruft er zu Protesten auf und wurde deshalb mehrmals zu Haftstrafen verurteilt.

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Quelle:
SZ vom 30.07.2019
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