Süddeutsche Zeitung

Rüstungspolitik:Russland kündigt KSE-Vertrag auf

Lesezeit: 2 Min.

Schon vor vielen Jahren hat Moskau das Abkommen über die konventionellen Streitkräfte ausgesetzt, jetzt will es aussteigen. Das hat vor allem Symbolkraft - und angeblich mit einem Nato-Beitritt zu tun.

Von Silke Bigalke, Moskau

Wladimir Putin kündigt einen weiteren Abrüstungsvertrag mit dem Westen auf. Zwar hält sich Moskau seit Jahren nicht mehr an die Vereinbarung über eine gemeinsame Kontrolle konventioneller Streitkräfte (KSE), jetzt aber will Putin den Vertrag offiziell für nichtig erklären. Es ist ein Schritt ohne praktische Konsequenzen, aber mit Symbolkraft: Moskau möchte es so aussehen lassen, als gefährde allein der Westen Europas Sicherheit. Die Staatsduma soll Putins Entscheidung abnicken, am Dienstag steht der KSE-Vertrag auf ihrer Tagesordnung.

Die Lage könne sich durch eine Kündigung nicht verschlechtern, da der Vertrag seit Jahren "faktisch nicht funktioniert", sagte Russlands stellvertretender Außenminister Sergej Rjabkow der staatlichen Zeitung Parlamentskaja Gaseta. Gleichzeitig würden nun "die Illusionen derjenigen verschwinden, die noch gehofft hatten, Russland in den Vertrag zurückholen zu können". Dieser stehe aufgrund der veränderten Lage im Widerspruch zu den russischen Sicherheitsinteressen, so Rjabkow.

Das ist keine neue Klage. Moskau hat den Vertrag bereits 2007 ausgesetzt, seit 2015 nimmt es auch nicht mehr an den Sitzungen der gemeinsamen Beratergruppe teil. Der KSE-Vertrag stammt aus der Endphase des Kalten Krieges, Mitglieder der Nato und des Warschauer Paktes vereinbarten darin 1990, ihre riesigen Waffenarsenale zu reduzieren. Der Vertrag legte genaue Zahlen fest: Jeder Block sollte nicht mehr als 40 000 Kampfpanzer, 60 000 gepanzerte Fahrzeuge, 40 000 Artilleriewaffen, 13 600 Kampfflugzeuge und 4000 Angriffshubschrauber besitzen, dazu kamen regionale Obergrenzen. Die überschüssigen Waffen sollten zerstört werden, Inspektoren den Fortschritt überprüfen.

Moskau hat offenbar auf den richtigen Moment gewartet

Doch noch bevor die Vereinbarung zwei Jahre später in Kraft trat, hatte sich der Warschauer Pakt aufgelöst. Drei frühere Mitglieder traten der Nato bei: Polen, Tschechien und Ungarn. Die Bedingungen, unter denen der Vertrag geschlossen worden war, existierten plötzlich nicht mehr. Um das Problem aufzufangen, schlossen die KSE-Mitglieder weitere Abkommen. Beispielsweise teilten sich die früheren Sowjetstaaten ihre Waffenquote untereinander auf; schon damals gab es erste Unstimmigkeiten. Dazu kam, dass Moskau während des ersten Tschetschenienkrieges Mitte der Neunzigerjahre mehr Panzer und Artilleriesysteme in seine südlichen Militärbezirke schickte, als es seine regionalen Begrenzungen erlaubten.

Ende der Neunzigerjahre verhandelten die Mitglieder eine aktualisierte Fassung des Vertrages. Russland ratifizierte das überarbeitete Abkommen zwar, die Nato-Mitglieder jedoch nicht. Sie hatten zur Bedingung gemacht, dass Moskau vorher seine Truppen aus Georgien und Moldau abzieht, doch der Kreml weigerte sich. Als 2004 die drei baltischen Staaten sowie Slowenien der Nato, aber nicht dem KSE-Vertrag beitraten, wurde eine Einigung noch unwahrscheinlicher. 2007 setzte Putin den Vertrag einseitig aus und begründete den Schritt unter anderem auch mit den US-amerikanischen Plänen für ein Raketenschild in Tschechien und Polen. Es machte keinen Unterschied, dass Washington versicherte, damit Raketenangriffe aus Iran oder Nordkorea abwehren zu wollen.

"Die heutige Entscheidung ist keine Propaganda", sagte damals Gleb Pawlowskij der New York Times. Pawlowskij galt als kremlnaher Analyst, wurde später zum Kritiker, inzwischen ist er verstorben. "Wenn die heutige Nachricht ignoriert wird, ist der Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme als nächstes dran", sagte er 2007. Tatsächlich ist der INF-Vertrag inzwischen außer Kraft, auch den Atomwaffen-Kontrollvertrag New Start hat Putin ausgesetzt.

Warum aber hat er den für Russland ohnehin wirkungslosen KSE-Vertrag erst jetzt gekündigt? Man habe die Tür für eine Wiederherstellung offen lassen wollen, behauptet Rjabkow im Interview, habe den westlichen Ländern Gelegenheit geben wollen, "gesunden Menschenverstand" zu zeigen. Stattdessen hätten sie sich für "eine Konfrontation mit Russland entschieden". Als konkreten Grund für den Abschied vom Vertrag nennt er den finnischen Nato-Beitritt. Es scheint so, als habe Moskau nur auf den richtigen Moment gewartet.

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