Süddeutsche Zeitung

Roberto Saviano:Jäger und Gejagter

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Mit seinem Buch "Gomorrha" ist Roberto Saviano weltbekannt geworden - und zur Hassfigur der Mafia. Jetzt wird er rund um die Uhr bewacht. In München erhält er nun den Geschwister-Scholl-Preis.

Henning Klüver

Seine Stimme hat Gewicht. Am Samstag veröffentlichte die Tageszeitung La Repubblica einen offenen Brief von Roberto Saviano an Silvio Berlusconi, in dem der Schriftsteller und Journalist den Ministerpräsidenten auffordert, einen umstrittenen Gesetzentwurf zur Justizreform zurückzunehmen.

Die geplante Reform über die Dauer von Gerichtsverfahren soll Berlusconi größtenteils von seinen Auseinandersetzungen mit der Justiz befreien. Als Folge würde aber auch eine Art versteckte Amnestie in Kraft treten, wenn Hunderte andere Prozesse unter anderem wegen Korruption und Finanzverbrechen nicht mehr zu Ende geführt werden könnten.

"Erlauben Sie nicht", schreibt Saviano an Berlusconi, "dass die Prozesse ein hohles Verfahren werden, bei dem sich die Macht durchsetzen kann, aber die, die nichts anderes zur Verteidigung haben als die Justiz, ihre Hoffnung auf Gerechtigkeit verlieren." Am Tag nach der Veröffentlichung hatten bereits 40.000 Menschen - vom einfachen Bürger bis zum Verfassungsrechtler - Savianos Brief und Appell auf den Internetseiten der Zeitung unterschrieben.

Roberto Saviano ist ein junger Mann, der im September erst 30 Jahre alt geworden ist. Dennoch hat er sich bereits durch seine Zivilcourage im Kampf besonders gegen die italienischen Mafien eine beispiellose öffentliche Reputation erworben.

Im Video: Der italienischen Polizei ist es gelungen, die Nummer Zwei der Cosa Nostra festzunehmen.

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Der Sohn eines Arztes ist in der Mafia-Hochburg Casal di Principe bei Neapel aufgewachsen. Nach einem Philosophiestudium sammelte er als Arbeitskraft im Hafen von Neapel Material für seinen Tatsachenroman "Gomorrha". In diesem Buch von 2006, das ein Weltbestseller geworden ist, beschreibt er die Praktiken des Camorra-Clans der Casalesi und nennt Anführer und Hintermänner mit vollem Namen. Die Mafia-Organisation schwor Rache.

Seitdem lebt der Autor bei häufigem Wechsel seines Wohnsitzes und schwer bewacht gleichsam im Untergrund. Ganz selten tritt er öffentlich auf. Fluglinien weigern sich, ihn zu befördern. Nachbarn protestierten, als er in der besten Wohngegend Neapels ein Appartement kaufen wollte. Kritiker und Neider treten gegen den Star auf, man müsse "Saviano vor Saviano schützen", heißt es dann. Kürzlich nannte sogar ein hoher Polizeibeamter die Schutzmaßnahmen eine Verschwendung von Steuergeldern.

Angesichts dieser Reaktion fragt sich der Autor immer wieder, ob der Erfolg von "Gomorrha" (der auch zur Verhaftung und Verurteilung von wichtigen Mafia-Bossen geführt hatte) dieses Leben noch wert sei: "Ich weiß manchmal nicht, warum ich das gemacht habe."

Dennoch hat sich Roberto Saviano, unterstützt von einer breiten Öffentlichkeit, nicht entmutigen lassen, in engagierten Artikeln und Reportagen weiter die Praktiken der Mafia anzuklagen. Oder sich mit der Unterdrückung im Ausland, etwa in Iran, auseinanderzusetzen. Dafür ist er inzwischen mehrfach ausgezeichnet worden, auch in Deutschland.

An diesem Montag erhält er in München den angesehenen Geschwister-Scholl-Preis, der mit 10.000 Euro dotiert ist und vom Landesverband Bayern des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels vergeben wird.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2009
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