Süddeutsche Zeitung

Rentenalter in der Schweiz:Wenn Frauen gegen Gleichstellung kämpfen

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In der Schweiz dürfen Frauen ein Jahr früher in Rente gehen als Männer. Eine Reform will hier für Gleichstand sorgen und wird heftig bekämpft - ausgerechnet von Linken und Frauen.

Von Isabel Pfaff, Bern

Klingt doch gerecht, oder? Männer und Frauen in der Schweiz sollen künftig im selben Alter in Rente gehen, mit 65. Bislang leistet sich die Eidgenossenschaft als eines der letzten Länder Europas ein geschlechtsspezifisches Rentenalter: Schweizerinnen dürfen ihren Ruhestand ein Jahr früher als die Männer, mit 64, antreten. Damit will eine bereits verabschiedete Reform nun Schluss machen - der leeren Rentenkasse wegen.

Final entscheiden soll jetzt die Bevölkerung: Am 25. September kommt es zum Referendum. Und in gewisser Weise auch zum Showdown zwischen Männern und Frauen. Laut Umfragen will eine knappe Mehrheit von 53 Prozent für die Erhöhung stimmen, dahinter verbirgt sich aber ein tiefer Geschlechtergraben: Nur 36 Prozent der Frauen sind für die Reform, bei den Männern sind es ganze 71.

Haben Schweizerinnen etwa kein Interesse an Gleichstellung, wenn es nicht um Rechte, sondern um Pflichten geht? Und was ist mit den Sozialdemokraten und den Grünen, die sich sonst für Lohngleichheit, Quoten und Vaterschaftsurlaub einsetzen, jetzt aber die Gleichstellung beim Rentenalter bekämpfen?

Für eine Antwort muss man etwas ausholen. Das unterschiedliche Rentenalter in der Eidgenossenschaft stammt, Überraschung, aus den 1950er-Jahren. Nach einigen Reformen war das Fraueneintrittsalter von 65 auf 62 gesunken. "Physiologisch betrachtet ist die Frau vielfach trotz ihrer höheren Lebenserwartung dem Mann gegenüber im Nachteil", rechtfertigte die Regierung den Unterschied. Oder war das nur vorgeschoben? Ging es den Schweizer Ehemännern, die oft älter waren als ihre Frauen, vor allem darum, im Alter nicht alleine zu Hause zu sitzen, wie man bis heute munkelt? Fest steht: In der boomenden Nachkriegszeit waren solch teure Späße kein Problem.

Das sollte sich mit dem demografischen Wandel ändern. In den Neunzigern hob die Schweiz das Frauenrentenalter wieder auf 64 an. Seither blieb es allerdings unangetastet - auch deshalb, weil man den früheren Rentenbezug bis vor Kurzem als gerechten Ausgleich dafür ansah, dass Schweizerinnen durch die viele gratis geleistete Familienarbeit und die damit verbundenen Einschnitte bei der Erwerbsarbeit deutlich niedrigere Renten erhalten als Schweizer - nämlich knapp 67 Prozent einer durchschnittlichen Männerrente. Ein bemerkenswerter Tauschhandel, der übrigens auch in vielen anderen Ländern denkbar wäre. In Deutschland zum Beispiel, wo Frauen im Schnitt 68 Prozent einer Männerrente erhalten.

Doch mit der neuen Reform kündigt das konservativ-liberale Lager in der Schweiz diesen Tauschhandel auf - obwohl sich an den niedrigen Frauenrenten und -löhnen wenig verändert hat. Deshalb wehren sich jetzt vor allem linke Parteien und, ja, viele Frauen dagegen, dass die staatliche Altersvorsorge vor allem auf dem Rücken der Schweizerinnen saniert werden soll. Auf bürgerlicher Seite hält man dagegen: Die AHV müsse mit allen verfügbaren Mitteln stabilisiert werden. Und es treffe ja nicht nur die Frauen, da die Reform auch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorsieht, die ebenfalls in die AHV fließen soll. Es ist fraglich, ob das die Gegnerinnen am Abstimmungstag besänftigen wird.

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