Süddeutsche Zeitung

Reaktionen: Luftangriff bei Kundus:"Treten Sie vor den Bundestag"

Der Druck auf Merkel wächst: Nicht nur die Opposition verlangt von der Kanzlerin Aufklärung über die Vorfälle in Kundus - auch in der CDU fordert man klare Worte.

Angesichts immer neuer Enthüllungen über die deutsche Rolle beim Luftschlag bei Kundus kommt auch aus den Reihen der Union die Forderung nach einer schnellen Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Der CDU-Außenpolitiker und frühere Verteidigungs-Staatssekretär Willy Wimmer forderte Merkel in der Leipziger Volkszeitung auf: "Machen Sie Schluss mit Vermutungen, Behauptungen und Vorwürfen. Treten Sie vor den Bundestag."

Es sei mit Blick auf die Wirkung auf die Soldaten und auf die Öffentlichkeit unerträglich, wenn beispielsweise Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach acht Jahren Afghanistan-Einsatz öffentlich die Klärung der Frage einfordert, welche Ziele am Hindukusch tatsächlich erreichbar seien.

Diese Regierungserklärung sei auch deshalb dringlich, weil sich sonst der Eindruck verfestige, dass man sich auf Kosten von einzelnen Soldaten wegen des Luftangriffs in Kundus selbst in Sicherheit bringen wolle. Wimmer verwies darauf, dass die in Afghanistan im Sommer unter Verantwortung des damaligen Verteidigungsministers Franz Josef Jung (CDU) stattgefundene Eskalation der deutschen Anti-Terrorbekämpfung "bestimmt nicht" ohne Billigung durch die Bundesregierung erfolgt sei.

Nach dem umstrittenen Luftangriff in Afghanistan verweist das Verteidigungsministerium darauf, dass das Mandat grundsätzlich auch die Anwendung von Gewalt erlaubt. Die Vorgänge um das Bombardement vom 4. September und die anschließende Informationspolitik müssten im Untersuchungsausschuss des Bundestages aufgeklärt werden, sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin.

Generell sei es abhängig von der jeweiligen Situation, ob die Soldaten bei der Bekämpfung der radikalislamischen Taliban auch Gewalt anwenden dürften. Bei dem Angriff waren nach Nato-Erkenntnissen bis zu 142 Menschen getötet oder verletzt worden. Der Untersuchungsausschuss will sich am kommenden Mittwoch konstituieren.

Die Bundesregierung hatte in der Vergangenheit erklärt, die Tanklastzüge seien angegriffen worden, weil eine Gefahr für die deutschen Truppen drohte. Die Süddeutsche Zeitung berichtete jedoch, der Luftschlag von Kundus habe nicht auf die beiden Laster, sondern auf eine Gruppe von Taliban und deren Anführer gezielt. "Er wollte die Menschen angreifen, nicht die Fahrzeuge"', heiße es in dem geheimen Isaf-Bericht über den für den Angriff verantwortlichen Oberst Georg Klein.

Die Grünen forderten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur schnellen Aufklärung der Vorgänge rund um den Luftschlag nahe Kundus auf. Merkel müsse noch in dieser Woche im Bundestag darüber berichten, verlangten die Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin.

"Frau Merkel muss erklären, ob eine Strategie des gezielten Tötens Bestandteil der Afghanistanpolitik der Bundesregierung ist ­und ob Kanzleramt, Bundeswehr und Nachrichtendienst diese neue Strategie gebilligt haben."

Auch Linksparteichef Lothar Bisky verlangt Aufklärung von der Kanzlerin. "Die Salamitaktik von Kanzlerin Merkel wird nicht aufgehen. Sie muss endlich die Karten auf den Tisch legen", heißt es in einer in Berlin veröffentlichten Mitteilung Biskys. Die Taktik der Bundesregierung sei es, nur so viel zuzugeben, wie ohnehin schon öffentlich bekanntgeworden sei.

"Wenn es stimmt, dass das Bundeskanzleramt bereits vor dem Luftschlag nahe Kundus ein schärferes Vorgehen der Bundeswehr in Afghanistan gebilligt hat, dann wurden Parlament und Öffentlichkeit bewusst getäuscht", sagte Bisky. "Das wirft ein völlig neues Licht auf die Ereignisse und die Desinformationspolitik der Bundesregierung." Im Verteidigungsministerium herrsche offenbar ein System von Verdrängung, Vertuschung und Lüge.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Grünen-Politiker Nouripour den Verteidigungsminister "Mr. Klartext" nennt und welche Neuigkeiten es zur Entlassung von Schneiderhan und Wichert gibt.

Der Verteidigungsexperte der Linken, Paul Schäfer, sieht durch den verheerenden Luftangriff in Afghanistan das Bundeswehr-Mandat für den Einsatz verletzt. "Meines Erachtens sieht das Mandat eine solche Form gezielter Tötung nicht vor, auch das Isaf-Mandat nicht."

Eine gezielte Tötung sei nur im Rahmen der Anti-Terror-Operation Enduring Freedom (OEF) erlaubt. Für diese Mission habe die Bundeswehr in Afghanistan aber kein Mandat mehr. Schäfer sieht in dem Angriff vom 4. September ein Ergebnis der im Sommer verschärften Strategie. "Es scheint auf der Hand zu liegen, dass es darum geht, dass man in der Weise umdenkt und offensiv denkt und mehr in Kategorien von robustem Zuschlagen als zuvor. Das finde ich durchaus sehr besorgniserregend."

Auch SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels zweifelt an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens: "Mit dem Geist der Bundestagsmandate für Afghanistan wären gezielte Tötungen absolut nicht vereinbar", sagte er der Bild-Zeitung.

Der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour sagteim Hessischen Rundfunk, Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) habe sich zum "Mr. Klartext" erklärt. "Jetzt müssen wir feststellen, der ist nicht Mister Klartext, der steht eher an der Wursttheke und verkauft uns Salami in Scheibchen", beklagte Nouripour. Tagtäglich komme Neues auf den Tisch. Das erschwere die Aufklärung.

Nouripour, der Guttenberg auf dessen Reise nach Afghanistan begleitet hatte, erklärte: "Ich kann Ihnen versichern, dass wir die Bundeskanzlerin, den damaligen Kanzleramtsminister und die damaligen Staatsminister vorladen werden und befragen werden. Wenn das so sein sollte, dass alles, was man uns erzählt hat, gelogen war, dann wird das natürlich Konsequenzen haben müssen."

Guttenberg will nicht kommentieren

Guttenberg lehnte eine Kommentierung neuer Informationen zur Kundus-Affäre ab. Dies sei nun Sache des Bundestags-Untersuchungsausschusses. Dort sei die Angelegenheit gut aufgehoben. "Deswegen unterstütze ich das ja auch so", sagte Guttenberg bei der Enthüllung eines Mauerteilstücks am Samstag in Nürnberg.

Zu seinem jüngsten Afghanistan-Besuch sagte der Minister, er habe diesen auch genutzt, um den dort eingesetzten Soldaten die in Deutschland geführte Diskussion zu vermitteln. In Gespräch mit ihnen habe er deutlich gemacht, dass die Diskussionen über den Luftschlag nicht auf ihrem Rücken geführt werden dürfe. Für ihn seien in den Gesprächen die Eindrücke der Soldaten und der Afghanen wichtig gewesen. "Es ist interessant, weil dann manches Urteil, das dann schnell gebildet wird aus der Ferne, sich erst einmal an der Realität vor Ort messen lassen muss", fügte Guttenberg hinzu.

Das Bundeskanzleramt lehnte eine Stellungnahme zu den Berichten ab.

Noch keine Post von Guttenberg

Verteidigungsminister Guttenberg soll von der inzwischen entlassenen Spitze seines Hauses über mehr interne Berichte zu dem verheerenden Luftangriff in Afghanistan informiert worden sein als bekannt. Der Spiegel und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichten übereinstimmend, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert hätten Guttenberg am 25. November korrekt und vollständig informiert.

Das Ministerium äußerte sich dazu nicht und verwies darauf, dass dies im Untersuchungsausschuss des Bundestages geklärt werde.

Wechselseitig sollen Schneiderhan und Wichert auf den Bericht des Bundeswehrkommandeurs von Kundus, jenen der Feldjäger, den eines deutschen Angehörigen der vorläufigen Nato-Untersuchungsgruppe und den Bericht des Internationalen Roten Kreuzes hingewiesen haben. Das Nachrichtenmagazin beruft sich auf das Umfeld der beiden Spitzenbeamten, die Zeitung nennt keine Quelle.

Der Spiegel hatte direkt nach der Entlassung der beiden unter Berufung auf Guttenbergs Umfeld berichtet, sie hätten seine Frage mehrfach verneint, ob es neben dem abschließenden Nato-Untersuchungsbericht des Isaf-Kommandeurs weitere Berichte gebe.

Guttenberg hatte am Tag nach dem Gespräch Schneiderhan und Wichert von ihren Aufgaben entbunden. Vor dem Bundestag erklärte er mit Blick auf den Feldjägerbericht: "Dieser, wie andere Berichte und Meldungen aus der letzten Legislaturperiode, wurden nicht vorgelegt. Hierfür wurde an maßgeblicher Stelle Verantwortung übernommen, und die personellen Konsequenzen sind erfolgt."

Wichert bat Guttenberg laut Zeitung in einem Brief klarzustellen, dass er den Minister richtig informiert habe. Darauf soll Wichert bisher keine Antwort erhalten haben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.147423
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
AFP/dpa/Reuters/bica/gal
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.