Süddeutsche Zeitung

Festnahme der "Sea Watch"-Kapitänin:Retterinnen, keine Heldinnen

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Junge Frauen wie Carola Rackete und Greta Thunberg haben heute das Zeug, Herzen zu erobern und mit ihrem Idealismus Politik zu machen. Doch letztlich muss ihr Publikum selbst handeln, um etwas zu verändern.

Kommentar von Kia Vahland

Erst Greta Thunberg, die Klimaretterin, jetzt Carola Rackete, die Menschenretterin: Junge, so idealistische wie tatkräftige Frauen betreten die Bühne des Weltgeschehens, und sie werden für ihre Entschiedenheit von den einen gehasst, von den anderen verehrt.

Filmreif war das Schauspiel am Wochenende: Die zierliche Rackete, die ihr schon etwas müdes Gesicht in eine Handykamera an Bord der Sea Watch 3 hält, von Verantwortung spricht und erklärt, ihr gehe es nur um das Wohl der 40 Flüchtlinge an Bord, die sie jetzt an Land zu bringen gedenke. Und das dann auch tat, obwohl ein Polizeiboot das Anlegemanöver in Lampedusa zu verhindern versuchte.

Als Rackete dann die Reling herunterschritt, jubelten die einen, schimpften die anderen. Die einen, das waren jene, die bald die Spendenkonten überlaufen ließen, allein der Aufruf des Fernsehmoderators Jan Böhmermann erzielte schnell mehr als 700 000 Euro. Die Unterstützer erkennen in Rackete eine junge Heldin, die handelt, wo andere nur reden, und antritt, die europäischen und auch christlichen Werte gegen den mit Menschenverachtung prahlenden italienischen Innenminister Matteo Salvini durchzusetzen.

Die anderen sahen eine aufmüpfige Gesetzesbrecherin, die in ihren Augen Schleppern hilft und deren wachsenden Nimbus es zu zerstören gilt. Nicht alle von ihnen setzten auf die Kraft des besseren Arguments, unter den Lega-Anhängern an der Anlegestelle waren auch Pöbler, die Morddrohungen ausstießen und von Sexorgien auf hoher See fantasierten.

Die Herzen und Köpfe erobern betont vernünftig auftretende junge Frauen

Carola Rackete beflügelt und erregt die Gemüter, in ihr hat die Gegenwart ihre Sehnsuchts- wie ihre Hassfigur gefunden (was sich bedingt). Nicht mehr charismatischen Staatenlenkern wie Barack Obama wird die Weltenrettung zugetraut, auch bewaffnete Revolutionäre wie einst Che Guevara hätten heute kein Starpotenzial mehr.

Die Herzen und Köpfe erobern betont vernünftig auftretende junge Frauen, die den Regierenden Europas höflich, aber sehr bestimmt erklären, dass sie sich an ihre eigenen Aussagen zu halten haben - Klimaziele sind umzusetzen, Menschenrechte sind zu respektieren. Gewaltanwendung liegt ihnen fern; Rackete entschuldigte sich sogleich dafür, das Polizeiboot touchiert zu haben.

Die Heldinnen der Gegenwart sind keineswegs mit dem Typus der schlagbereiten Superheldinnen zu verwechseln, die als Wonderwoman oder Captain Marvel seit einiger Zeit die Kinoleinwände stürmen. Carola Rackete und ihre Kollegen können auch einen Kardinal zum Spenden bringen, um die Gunst von Greta Thunberg ringen längst auch Wirtschaftsführer. Denn diese jungen Frauen besitzen das rare Gut der Glaubwürdigkeit.

Dies mag in ihren Persönlichkeiten begründet liegen, voll entfalten kann es sich aber erst in diesem historischen Moment. Junge Frauen sitzen nicht in Aufsichtsräten, Vorständen und in aller Regel auch nicht in höchsten Staatsämtern. Sie gelten schon deshalb per se als weniger korrupt, weniger nachgiebig gegenüber dem Einfluss von Lobbyisten und Fatalisten. Zugleich aber werden sie nicht mehr wie Frauen früherer Generationen allein an dem weiblichen Bescheidenheitsideal und dem Mann an ihrer Seite gemessen.

So taugt die junge Idealistin zur Hoffnungsträgerin, und sie wird ihrerseits idealisiert. Was zur Bürde werden kann, weil es den Akteurinnen eine fast schon übermenschliche Reinheit und Klarheit abverlangt. Mit ihrem Körper und ganzen Leben sollen sie einstehen für ihre Anliegen, und so das Publikum, das längst nicht so konsequent ist, ein Stück weit entlasten.

Ein Interkontinentalflug - und mit dem Ruhm der Greta Thunberg kann es vorbei sein. Eine richtig radikale Bemerkung der Carola Rackete zur Einwanderungspolitik - und das jetzt noch gerührte Bürgertum könnte seine Herzen und Portemonnaies wieder schließen.

Es wird nicht reichen, der deutschen Kapitänin, der schwedischen Schülerin vorne auf der Bühne zu applaudieren. Es genügt nicht, wenn zwei zeigen, wie ein richtiges Leben im falschen gelingen mag. Das ist eine haltlose Überforderung. Die neuen Heldinnen müssen statt Projektionsfiguren Menschen sein dürfen, und die anderen Menschen auch ein bisschen Helden.

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