Süddeutsche Zeitung

Vorwahlen in den USA:Biden for president?

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Von Nicolas Richter

Ob man der mächtigste Mann auf Erden werden möchte, ist nie eine leichte Entscheidung, aber für Joe Biden ist sie gerade besonders schwer. Im Mai hat der Vizepräsident der USA seinen Sohn Beau zu Grabe getragen, nachdem der einem Krebsleiden erlegen war. Während Joe Biden noch trauert, muss er überlegen, ob er seiner Familie die Qualen eines weiteren Wahlkampfs um das Weiße Haus zumuten kann. Zwei Mal hat er sich vergeblich um die Nominierung der Demokratischen Partei beworben; sein nun verstorbener Sohn soll ihn gedrängt haben, es noch einmal zu versuchen.

Bislang hat Joseph Robinette Biden, 72, keine Anstalten gemacht, Präsident Barack Obama nachfolgen zu wollen. Lange sah es so aus, als sei die Nominierung Hillary Clintons als Kandidatin der Demokraten unvermeidlich, und Biden wollte sich nicht dem Wunsch seiner Partei widersetzen, die erste Präsidentin der Geschichte zu stellen. Doch inzwischen soll er dazu neigen, sich doch zu bewerben. Clinton wird die Affäre um ihren privaten E-Mail-Server nicht los, über den sie ihre Korrespondenz als Außenministerin abwickelte, und etliche Amerikaner halten sie für unehrlich. Sollte Clinton stürzen, könnte Biden als Ersatzmann bereitstehen.

Anders als Obama pflegt Biden ein gutes Verhältnis zum Parlament

Niemand stünde so sehr für eine Fortsetzung der Politik Obamas wie Biden. Der Präsident hat ihn in alles eingeweiht und ihm viele heikle Projekte anvertraut. Im Wahlkampf 2008 war der erfahrene US-Senator Biden die ideale Ergänzung zum jugendlichen Obama, er war sowohl Anwalt der Arbeiter- und Mittelschicht als auch kundiger Außenpolitiker. Ihr Verhältnis war zunächst schwierig, auch weil Biden gerne drauflosredet. Einmal sagte er über Obama, der sei der erste schwarze Amerikaner, der sich ordentlich ausdrücke, klug sei und gut aussehe. Doch mit der Zeit ist inniges Vertrauen gewachsen.

Biden ergänzt seinen Chef, weil er anders als Obama ein gutes Verhältnis zum Parlament pflegt. Obama sagt gern, es sei seine beste politische Entscheidung gewesen, Biden als Vize auszuwählen. Unlängst hielt er sogar die Trauerrede auf dessen Sohn Beau.

Warum vier weitere Jahre Obama ohne Obama?

Die Stärken Bidens sind offensichtlich. Er ist ein fabelhafter Wahlkämpfer, der die Nähe zum Volk zu genießen scheint, auch wenn er zuweilen leicht überdreht wirkt. Beim Kampf um Obamas Wiederwahl 2012 wirkte er energiereicher als der Präsident selbst und fasste dessen erste Amtszeit am besten zusammen: "General Motors lebt, Osama bin Laden ist tot."

Bidens Chancen, im Weißen Haus zu bleiben, sind freilich gering. Clinton hat ihren Wahlkampfapparat seit Jahren aufgebaut und ein Vermögen an Spenden gesammelt. Selbst wenn Biden die Vorwahl gewinnen sollte, müsste er den Amerikanern erst einmal erklären, warum sie weitere vier Jahre Obama ohne Obama brauchen. Doch wenn der Vorwahlkampf mit seinen Alt-Stars Donald Trump und Bernie Sanders etwas beweist, dann dies: Alles ist drin. Biden dürfte seine Entscheidung im September bekanntgeben.

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Quelle:
SZ vom 26.08.2015
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