Süddeutsche Zeitung

Strom in Südafrika:Wenn die Zahlungsverweigerung zur Folklore gehört

Lesezeit: 2 min

In Pretoria sind Bürger, Institutionen und Gewerbetreibende mit etwa einer Milliarde Euro für Strom und Wasser bei der Stadt im Rückstand. Nun greift die Verwaltung bei säumigen Schuldnern durch. Und die sind durchaus prominent.

Von Bernd Dörries, Kapstadt

Im vergangenen Jahr habe man es noch auf die nette Art versucht, sagt Randall Williams, Bürgermeister von Tshwane, der Metropolregion in Südafrika, zur der auch die Hauptstadt Pretoria gehört. Man habe Briefe geschrieben und freundliche Gespräche geführt. Genutzt habe es wenig. "Deshalb haben wir beschlossen, unsere Strategie zu ändern und einen aggressiveren Ansatz zu verfolgen." Seit einigen Tagen schalten die Mitarbeiter seiner Verwaltung säumigen Bürgern, Firmen und auch Behörden, die ihre kommunalen Rechnungen nicht bezahlt haben, einfach den Strom ab.

Es ist ein ziemlich kurioses Spektakel, das jeden Tag neue Überraschungen bereithält - und einiges erzählt über den Zustand Südafrikas. Ohne Strom sind: das Hauptquartier der südafrikanischen Polizei, das Luxushotel Sheraton, die Steuerbehörde, ein Gericht für Wirtschaftskriminalität, die Universität von Pretoria, der Bahnhof der privaten Bahnlinie Gautrain. Und so weiter.

Etwa eine Milliarde Euro schulden Bürger, Institutionen und Gewerbetreibende der Stadt Pretoria für Wasser und Strom. Die aber ist selbst so hoch verschuldet, dass die Infrastruktur an allen Ecken und Enden bröselt, so wie in den meisten Regionen Südafrikas, die gezeichnet sind von jahrzehntelanger Korruption, Gleichgültigkeit und Inkompetenz des regierenden ANC.

Dessen Mehrheit aber bröckelt, in Pretoria regiert seit Herbst 2020 Randall Williams von der Democratic Alliance (DA), er will nun einiges anders machen. Er hat eine "Name and Shame"-Kampagne gestartet und macht jeden Tag die Namen derjenigen öffentlich, die mit ihren Zahlungen oft schon seit Jahren im Rückstand sind. Darunter erstaunlich viele öffentliche Behörden. Das Hauptquartier der Marine und das Bildungsministerium hätten mittlerweile bezahlt, sagt Rendall. In den kommenden Monaten will er etwa ein Drittel aller Schulden eintreiben und auch wieder in die Infrastruktur investieren.

In Zeiten der Apartheid fing es an

Vor allem ANC-Anhänger werfen ihm eine "politische Kampagne" gegen die Ärmeren vor. Tatsächlich gehört das Nichtbezahlen der Stromrechnung in Teilen Südafrikas zur Folklore. Begonnen hatte es in Zeiten der Apartheid: Die Einwohner Sowetos, der größten Townships des Landes, hatten 1986 mit dem Boykott ihrer Rechnungen begonnen, um das damals schon ziemlich bankrotte Apartheidsregime in die Knie zu zwingen und die Freilassung Nelson Mandelas zu erreichen. Der kam 1990 frei, der Strom wird in Soweto dennoch bis heute kaum bezahlt, mittlerweile haben sich breite Gesellschaftsschichten angeschlossen, von noblen Luxuswohnanlagen bis zu finanzstarken Unternehmen. Den Bonzen des ANC war es egal, sie zahlten ja selbst oft nicht.

"Die vorherige Verwaltung war sehr entspannt, was die finanzielle Stabilität der Stadt angeht. Wir werden uns da durcharbeiten", sagte Johannesburgs neue Bürgermeisterin Mpho Phalatse von der DA. Viele Bürger fragen sich aber dennoch, warum sie für Strom zahlen sollen, der immer öfter ausfällt. Der staatliche Energieversorger Eskom sitzt auf Schulden von fast 35 Milliarden Euro, verfügt über viele schrottreife Kraftwerke und setzt unverdrossen auf Kohle. Ein neues Gesetz ermöglicht es den Kommunen nun aber, ihren eignen, erneuerbaren Strom zu produzieren und Stromausfälle zu vermeiden. Das würde auch die Zahlungsmoral verbessern, sagen viele Bürgerrechtsorganisationen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5530504
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.