Süddeutsche Zeitung

Präsidentschaftswahl:Der Mann, der den Drogenkrieg in Mexiko beenden will

Lesezeit: 2 min

Andrés Manuel López Obrador könnte mexikanischer Präsident werden. Er will die Gewaltspirale im Land durchbrechen - und polarisiert mit umstrittenen Vorschlägen.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Jüngste Nachrichten aus Mexiko, die einfach so vorbeirauschen: In einem Geländewagen im Bundesstaat Veracruz werden neun zerstückelte Leichen gefunden. Auf die Motorhaube eines anderen Autos hat jemand fünf abgetrennte Köpfe drapiert. In Guerrero verschwinden sieben Jugendliche spurlos im Anschluss an ein Verhör der Polizei. In der Stadt Nuevo Laredo im Bundesstaat Tamaulipas wird ein Journalist in seinem Auto hingerichtet, seine Tochter sitzt auf dem Beifahrersitz. Nahe der Touristenhochburg Acapulco sterben elf Menschen im Kugelhagel. In Ciudad Juárez, Chihuahua, sind es 31 binnen wenigen Stunden, einige waren zuvor gefoltert worden. So hat in Mexiko das Jahr 2018 begonnen, es scheint also genauso weiterzugehen wie 2017.

Auch die Reaktionen bleiben die gleichen: Politiker beteuern, dass die Verbrechen natürlich schonungslos aufgeklärt werden. Danach passiert mutmaßlich gar nichts mehr, so wie in mehr als 90 Prozent der bisherigen Fälle. Weder im Land und schon gar nicht in der sogenannten Weltgemeinschaft gibt es deswegen einen Aufschrei. Für viele gehört die mittelalterliche Gewalt zu Mexiko wie die Tacos und die tollen Strände. Was alltäglich ist, wird kaum noch wahrgenommen.

Ein Mann, der diesem Fatalismus den Kampf angesagt hat, heißt Andrés Manuel López Obrador. Als Politiker tritt er unter dem Kürzel Amlo auf. Dieser Tage ist er omnipräsent, der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl am 1. Juli wirft seine Schatten voraus. Seit Monaten liegt López Obrador, 64, in Umfragen konstant vorne. Ein Konsenskandidat ist er allerdings nicht, der Linkspopulist polarisiert heftig. Die einen halten ihn für einen Heilsbringer, die anderen für einen gefährlichen Agitator. Das hängt auch mit dem umstrittensten all seiner umstrittenen Vorschläge zusammen: Er brachte eine Amnestie für Drogendealer und Kartellbosse ins Spiel, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.

Präsident Peña Nieto wirft López Obrador "Verrat an Mexiko" vor

Das mag zunächst ziemlich irre klingen, nicht nur in den Ohren seiner erbitterten Gegner. Die Anführer von Mafiaorganisationen wie dem Sinaloa-Kartell, den Zetas oder Jalisco Nueva Generación haben Mexiko in ein barbarisches Land verwandelt, sie haben Teile der Politik, des Militärs und der Polizei unterwandert, sie morden, häuten, köpfen und vierteilen wie sie wollen. Natürlich wäre es gerecht, sie für immer einzusperren. Aber dann übernehmen in der Regel ihre Stellvertreter - und das Geschäft läuft ungebremst weiter. López Obrador hat seinen Plan noch nicht konkretisiert, anzunehmen ist aber, dass er sich vom Beispiel Kolumbiens inspirieren ließ, wo die Regierung in jahrelangen Verhandlungen mit der ebenfalls drogendealenden Farc-Guerilla zumindest einen wackeligen Frieden erreicht hat.

Der scheidende Präsident Enrique Peña Nieto hat López Obrador gerade "Verrat an Mexiko" vorgeworfen. Dieser entgegnet, dass Peña Nietos Strategie, so etwas wie innere Sicherheit mit dem verstärkten Einsatz des Militärs herzustellen, offensichtlich gescheitert ist. 2017 war das tödlichste Jahr im sogenannten Krieg gegen die Drogen, der bereits mehr als 200 000 Todesopfer in Mexiko gefordert hat. López Obrador meint deshalb, es dürfe keine Denkverbote mehr geben. Damit spricht er vielen Leuten aus der Seele.

Besonders populär ist sein Feldzug gegen die etablierten Parteien, die er die "Mafia der Macht" nennt. Dabei gehörte er selbst viele Jahre der alten Staatspartei PRI von Peña Nieto an. Für die traditionelle Linkspartei PRD war er Bürgermeister von Mexiko-Stadt und kandidierte zwei Mal vergeblich für das Amt des Staatspräsidenten. Nun versucht er es mit seiner "Bewegung zur Erneuerung Mexikos" (Morena). Ob er sich mit dem Amnestie-Vorschlag aller Chancen beraubt hat? Derzeit sieht es nicht so aus. Ein Drittel der Mexikaner lehnt die Idee ab, genauso viele glauben aber, dass ihr Leben damit nur besser werden kann.

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Quelle:
SZ vom 17.01.2018
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